Dieser Reiseabschnitt berichtet vom Dahinvegetieren am Rande des slowenischen Existenzminimums, bevor wir zu wahren Höhenflügen ansetzen, die in der weltlängsten Sackgasse jedoch ein jähes Ende finden. Der Stress in Cres weicht dann aber schnell feuchtfröhlichen Karnevalsfreuden.
10. Februar: Monfalcone - Koper
(Slowenien)
Strecke: 58 km
Min. Höhe: 0m, Max. Höhe: 388 m
Höhenmeter: 370 m
Nach 10 Tagen heißt es Abschied nehmen von Italien und obwohl das Land sicherlich nicht zu den exotischen Highlights auf unserer Reise zu zählen ist, fällt der Abschied geradezu schwer. Wahrscheinlich erlebt man es als Fahrradfahrer abseits der touristischen Regionen aus einem ganz anderen Blickwinkel.
Kurz hinter Monfalcone vereinnahmt uns der Karst, eine Landschaftsform, die uns nun drei Wochen lang bis Albanien begleiten wird. Die steil ins Meer abfallenden Kalkfelsen bescheren uns bei strahlendem Sonnenschein ein ganz besonderes landschaftliches Highlight. Immer wieder eröffnen sich Panoramablicke bis weit nach Venetien hinein.
Mit ihren über 200.000 Einwohnern ist Triest seit München die größte Stadt, die wir mit dem Fahrrad durchqueren. Ampeln, Boulevards, Umgehungsstraßen verkörpern für uns den Inbegriff von Urbanität. Triest geht auf eine vorrömische Gründung zurück und ist auf mehreren Hügeln errichtet worden. Leider hat man damals die Bedürfnisse von Fahrradfahrern nicht berücksichtigt und so müssen wir uns zwei Stunden an Blechkarawanen vorbei durch Hochhausschluchten, Fußgängerzonen und Unterführungen quälen. Umso unspektakulärer der Grenzübergang nach Slowenien. Ein Kreisel im Gewerbegebiet, die kleinste und unscheinbarste Abzweigung soll nach Plavje, der ersten Stadt hinter der Grenze führen. Wir finden den Grenzübergang verwaist vor und fühlen uns wie James Bond. „Soll ich wirklich schauen, wie es drüben im Ostblock aussieht“ flüstere ich. „JA, aber nur kurz. Ich behalte dich im Auge. Pass gut auf dich auf!“, warnt Minxin. Ein zigarettenrauchender Rentner schaut interessiert zu wie ich zaghaft zu Fuß die ersten Zentimeter slowenischen Boden ertaste.
Ab Slowenien können wir beide nun fleißig Länderpunkte sammeln. Bis China sind sämtliche Staaten für Minxin „Erstbetretungen“, wohingegen ich zumindest ein paar Tage meines Lebens in Griechenland und der Türkei verbracht habe.
Slowenien empfängt uns mit garstigen Steigungen und brüchigem Asphalt, als wolle es uns zurufen: „Hallo, hier bin ich! Bitte übersehe mich nicht, auch wenn ich so klein und unwichtig bin“. Nun, unwichtig schon gar nicht, ist das Land seit der politischen Wende doch das wirtschaftlich erfolgreichste des gesamten Ex- Ostblocks (wenn man Ex-Jugoslawien dazuzählt). Und in der Tat werden wir hinsichtlich Lebensstandard und Infrastruktur keine Unterschiede zu Italien feststellen. Klein trifft dann schon eher zu, mit 20.000qkm hat es ungefähr hessische Ausmaße und auch wir werden es in bereits nach 40 Fahrradkilometern schon wieder verlassen haben. Ein Wimpernschlag sozusagen. Wunderschön ist auf jeden Fall richtig, vereint es auf engen Raum die unterschiedlichsten Landschaftsformen von den schroffen Kalkalpen bis zur mediterran geprägten Adriaküste. Und diese werden wir in den nächsten 20 Stunden genießen können. Give Slovenia a chance!
Die Suche nach einer Unterkunft gestaltet sich schwieriger als erwartet. Im ersten Dorf hinter der Grenze hat das einzige Hotel geschlossen. Die nächsten Hotels befänden sich in Koper, sagt man uns, das heißt weit abseits unserer Route an der Küste. Damit würden wir leichtsinnig alle Höhenmeter verschenken, die wir uns durch die Steigungen gerade erst mühsam erarbeitet haben.
Unweit der Stadt entdecken wir ein Schild, das auf Restaurant und Unterkunft hinweist. Schnell erhält unserer Freude einen Dämpfer, denn offensichtlich hat man heute einen Ruhetag eingelegt. Wir
klopfen an mehrere Türen, doch keiner öffnet. Lediglich die Gästezimmer sind geöffnet. Theoretisch könnten wir unser Gepäck nach oben tragen und ungefragt in einer eigentlich geschlossenen
Pension Quartier beziehen. Während wir darüber debattieren hält ein silberner Renault Kangoo neben uns. Es ist der Besitzer, welcher uns noch ein Restaurant empfehlen kann, das sich 300m entfernt
befinden soll.
Im Restaurant läuft gerade slowenisches Hitradio mit den besten englischsprachigen Hits aus den 80er/90er/00er und von heute. Doch Michael Jackson und Christina Aguileira werden akustisch von italienischen Soaps überlagert, die aus einem alten Röhrenfernseher zu uns hinüberdröhnen. Darüber hinaus haben sich an der Bar ein paar slowenische Oppas eingefunden, die ihre Biere in Rekordzeit leeren, um diese mulitkulturelle Kakophonie des Grauens zu komplettieren. Zwischendrin sitzen Minxin und ich bei einem Teller Salat, und schreien uns an.
die Adria ist was fürs Auge (o.l.); erste Bekanntschaft mit dem Karst (o.m.); Triest, die letzte Stadt Italiens (u.l.); Neuland: Erstbetretung Sloweniens (u.r)
11. Februar: Koper - Vranja
Strecke: 55 km
Min. Höhe: 6 m, Max. Höhe: 442 m
Höhenmeter: 925 m
Mit leeren Geldbeuteln (keine Bank in der Nähe) radeln wir auf einer gut ausgebauten und kaum befahrenen Landstraße landeinwärts nach Kroatien. Heute warten zwei Pässe auf uns, die zusammengerechnet mehr Höhenmeter einfordern werden als der Reschenpass 10 Tage zuvor und so wäre etwas zwischen den Zähnen nicht verkehrt.
Schnell finden wir ein kleines Restaurant am Straßenrand, das allerdings keine Maestro- oder Kreditkarten akzeptiert. Wir schieben der Kellnerin unseren kümmerlichen Rest an Kleingeld rüber. Auf insgesamt 5,30 Euro beläuft sich unser Budget, demgegenüber steht eine gigantomanische Speisekarte von den Ausmaßen einer Brockhaus Enzyklopädie. Die Speisen sind in fünf verschiedenen Sprachen – Slowenisch, Serbokroatisch, Englisch, Deutsch, Italienisch – abgefasst, sodass nur zwei Gerichte auf einer Seite Platz finden. Wir darben am Rande des Existenzminimums, doch nach intensiven Studium der Speisekarte gelingt es uns, für zwei Personen ein Menü zu konfigurieren, das unter Berücksichtigung aller relevanten Einflussfaktoren wie Kalorienanzahl, Kohlenhydratanteil und Vitamingehalt einen optimalen Spagat meistert: Tomaten-Gurke-Salat, dazu eine kleine Portion Pommes für insgesamt 5,20 Euro – genialerweise kann man zu den Fritten noch kostenlos Majonäse bestellen. Und sogar Ketchup, aber wir wollen nicht maßlos werden. Das muss bis heute Nachmittag reichen, denn bis zur kroatischen Grenze werden wir nur noch zwei kleine Dörfer ohne Bank passieren.
Die Straße windet sich in Serpentinen aus einem Canyon auf das Karstplateau hinauf. Von dort grüßt noch ein letztes Mal das majestätische Panorama der Alpen. Nun werden wir uns der krickeligen kroatischen Küste mit seinen zahllosen Inseln, Fjorden und Buchten zuwenden.
Etwas unerwartet stehen wir auf einmal vor einem Grenzübergang. Es ist das erste Mal, dass unsere Ausweisdokumente verlangt werden. Der Grenzbeamte mustert uns mit strengem Blick, schließlich haben wir ihn beim Schauen eines Youtube Videos gestört. Entsprechend schnell und leidenschaftslos verläuft dann auch die Abfertigung.
„Und – das wars schon mit Slowenien?“, lacht Minxin. Ich: „Ja, hatte ich doch gesagt, dass das schnell geht“. Sie: „So klein? Ist ja süß.“ Ich: „Wusstest du eigentlich, dass Slowenien mal im Fußball gegen China gewonnen hat?“.
Dünnes Eis, denn das Land das wir jetzt befahren werden, hat Deutschland 1998 im Viertelfinale aus der WM gekegelt und 2008 bei der EM in der Vorrunde einen gehörigen Schreck eingejagt.
Bevor wir das ausdiskutieren können, kommt ein roter japanischer Kleinwagen neben uns zum Stehen. Der Kopf eines mir völlig unbekannten jungen Herren – ich kenne niemanden in Kroatien - reckt sich aus dem Fenster: „Fahrt ihr mit dem Fahrrad nach China?“. „Äh…ja…glaube schon. Hatten wir zumindest vor.“ „Braucht ihr noch eine Unterkunft in Zadar?“. „Äh…ja. Warum nicht?“ „Gut. Ich bin jetzt erstmal in Slowenien unterwegs, aber in einer Woche wieder zurück. Dann schicke ich Euch eine Mail. Bis dann.“ „Sag mal, woher weißt du eigentlich wer wir sind und was wir machen?“ „Habe über das Couchsurfing Netzwerk von euch erfahren. Und ihr seid die ersten und einzigen Radtouristen die mir hier begegnet sind“.
Na dann, erstmal herzlich willkommen in Kroatien
Das Land ist im Sommer 2013 der EU beigetreten, und das merkt man auf den ersten Blick. Zwischen die baufälligen und buntbemalten Tante Emma Läden hat man Speditionen und Supermärkte gerammt. Am Straßenrand prangen blitzsaubere EU-Verkehrsschilder, die Fahrbahnmarkierungen sind EU-geeicht, die Trüffel aus eigenem Anbau erfüllen EU Standard und die auf großen Stellwänden angekündigten Projekte sind ebenfalls EU finanziert. Bezahlt wird aber noch in der Landeswährung Kuna.
Apropos Geld, endlich finden wir einen Bankomaten in Buzet, der ersten Stadt hinter der Grenze und können wenig später bewaffnet mit Müsliriegeln, Obst und Wasser den Angriff auf den zweiten Pass wagen. Dieser gelingt problemlos und zum ersten Mal empfinden wir echten Spaß am Beradeln von Bergstraßen. 15km hinter der Passhöhe beziehen wir in einer preiswerten Pension Quartier. Unsere armen, heimwehgeplagten Seelen zieht es heute Abend wieder an die Bar. Dort hat sich bereits das männliche Dorfpublikum versammelt und ist gerade in eine erregte Diskussion verwickelt, der wir überraschend gut folgen können, da gefühlt jedes dritte Wort entweder „Radio“, Komputar“ oder „Television“ zu sein scheint. Meist folgt darauf das Wort „Problem“ und eine heftige Lachsalve. Was hat das aber zu bedeuten? Hat in diesem Dorf jemand erfolglos versucht, einen Elektronikladen zu eröffnen?
Durchgangsland Slowenien (o.); letzter Blick zurück auf den Alpenkamm (m.l.) Blick über Istrien (m.m.); verhinderter Couchsurfer (u.l.); Buzet, die Trüffelstadt (u.m.)
12. Februar: Vranja - Filosici (Insel
Cres)
Strecke: 43 km (davon 38 km mit dem
Fahrrad)
Min. Höhe: -4 m, Max. Höhe: 314 m
Höhenmeter: 412 m
Wir radeln weiter durch das hügelige Istrien, und orientieren uns dabei an den GPS Tracks, die Tobi und Daniela uns gesendet haben. Die Strecke führt abseits der Bundesstraße an winzigen Dörfern vorbei, die vom Geldregen der EU noch nicht erfasst worden sind. In der Sonne rosten alte Lada und Zastava mit unklarem Verwendungszweck vor sich hin, während Hühner und Gänse gackernd über die Straße wackeln.
Wir möchten heute Nachmittag die Fähre auf die Insel Cres nehmen, um uns den Umweg über die vielbefahrende Küstenstraße nach Rijeka zu ersparen. Doch wir sind von vielen Personen gewarnt worden: am gegenüberliegenden Ufer lauert die fieseste Fahrradfahrerfalle Europas, denn der Fährhafen auf der Insel besteht nur aus einer Bar ohne Übernachtungsmöglichkeit. Diese gibt es erst wieder 27km entfernt im gleichnamigen Hauptort der Insel, nachdem man einen steilen 450m hohen Pass überquert hat. Das ist uns alles durchaus bewusst, als wir die Fähre besteigen und der Nachmittag sich bereits seinem Ende zuneigt. Am winzigen Hafen angekommen, treten wir etwas ratlos in die Pedale, wohl wissend, dass das heute noch ein langer, anstrengender Fahrtag werden wird, der zum großen Teil in der Dunkelheit stattfinden wird.
Nach den ersten Metern hält ein roter Van neben uns und wir sehen uns dem kroatischen Alter Ego von Mick Jagger gegenüber. Es handelt sich um Igor, der uns anbietet, die Fahrräder in seinen Wagen zu laden und uns einen Schlafplatz für die Nacht klarzumachen. Anfangs zögere ich noch, doch schnell erlischt mein Ehrgeiz und ich willige ein.
Igor bewohnt mit seiner Familie ein Anwesen in einem verlassenen Dorf. Nachdem er sich bereits als Bühnendesigner, Trawler und Musiker versucht hat, beschloss er vor 10 Jahren Rijeka zu verlassen und in die Berge zu ziehen. Erst renovierte er die verfallenden Häuser, dann machte er sich daran, die passenden Möbel dafür zu schreinern. Heute hält er Ziegen, betreibt Bienenzucht, destilliert Schnaps, bäckt sein eigenes Brot und bietet Gästezimmer ausgestattet mit Bildern australischer Künstler an – falls sich per Zufall mal jemand in die Gegend verirrt. Denn eine Website besitzt Igor nicht, und auch ein Hinweisschild am Straßenrand fehlt. „Läuft alles über Mundpropaganda“, versichert er uns. „Die Leute kommen von selbst und immer wieder.“
Also, wer sich auf die Insel Cres verirrt: einfach die Straße vom Hafen bergauf nehmen, und nach 5 km links in einen Feldweg einbiegen. Dort wartet das am besten behütetste Geheimnis der Adria.
„Wird dir nicht langweilig, hier oben so alleine in den Bergen?“, fragen wir. „Ich habe genug zu tun. Was aber traurig ist: die Dörfer sterben langsam aus. Die jungen Leute hauen alle ab in die Städte. Und die Regierung kümmert sich nicht um die Inseln, bzw. nur dann, wenn dort Hotels stehen, die Geld einbringen. Das tun sie vier Monate im Jahr. Wir wohnen hier aber das ganze Jahr über.“
Zastava 600 (o.l.); das Meer hat uns wieder (m.l.); Igors Reich (m.m. - u.r.)
13. Februar: Filosici – Mali Lovenj (Insel
Cres)
Strecke: 77 km
Min. Höhe: -1 m, Max. Höhe: 446 m
Höhenmeter: 1.033 m
Als ich aus der Bar getorkelt komme, weiß Minxin sofort, dass irgendetwas passiert sein muss. Ich bin absolut nüchtern, rauche aber gerade eine Zigarette. Nun passt Rauchen nicht so ins Tätigkeitsprofil von „Extremradlern“, wie uns neulich die Hildesheimer Allgemeiner Zeitung tituliert hat. Außerdem bin ich seit 6 Jahren Nichtraucher. Aber alles der Reihe nach.
Die Insel Cres ist ein topographisches Phänomenen: 85km lang lang und an einigen Stelle nur wenige km breit, hat sie etwa dieselbe Form wie Sylt, ist aber flächenmäßig viermal so groß. Nur 3.000 Menschen siedeln entlang der steilen Küste, auf jeden Einwohner kommen umgerechnet acht Schafe. Genau vor diesen hat man uns gewarnt. Sie würden die Straße blockieren, was fatale Konsequenzen hätte, wen man nach einer Kurve nicht rechtzeitig zum Stehen käme. Das soll erstmal nicht unsere Sorge sein, da es bergauf geht. Nach dem wir die erste Hälfte der Steigung gestern Abend im Auto zurückgelegt haben, sind die restlichen 200 Höhenmeter allerdings kein Problem mehr.
Die Landschaft hat sich ziemlich verändert. Der in Istrien vorherrschende Kiefernwald ist mittlerweile von karger Machhie- und Heidevegtation, abgelöst worden, auf der Schafe weiden.
Nach einer rasanten Abfahrt, wo wir sämtliche Geschwindigkeitsrekorde brechen, erreichen wir Cres, den Hauptort der Insel, wo wir die Mittagspause verbringen. Relativ schnell geht es danach nochmal für 280 Meter nach oben, doch umso langwieriger empfinden die Strecke bergab zum Hafenort Mali Lovenj. Auf steile Abfahrten folgen immer wieder lange Steigungen, dazu weht uns unerbittlich die Bora entgegen. Während unserer Stundenschnitt merklich sinkt, kündigt sich weiteres Unheil an: kurioserweise fängt bei uns beiden gleichzeitig unser linkes Knie zu zwicken an. Erst harmlos, wird es an Steigungen später schmerzhaft. Woran liegt das? Waren die letzten Tage seit Triest zu anstrengend für uns? Egal, wir kennen nur ein Ziel: schnell Mali Lovenj erreichen, morgen die Fähre in die Städte Zadar oder Split aufs Festland nehmen und dort einen weiteren Tag Pause für Sightseeing einlegen. Bis wir allerdings das Ende der Insel erreicht haben, führt die Straße noch einmal bergauf. Obwohl die Steigungen harmlos sind, drosseln wir die Geschwindigkeit auf 6-7 km/h. In solchen Momenten gilt es, das Hirn auszuschalten und sämtliche individuellen Bedürfnisse zurückzustellen. Wie in Trance radle ich langsam nach oben, während das GPS Gerät langsam Meter um Meter dazu rechnet.
Wir erreichen Mali Lovenj erst, als sich schon Dunkelheit über die Adria gelegt hat. Mit über 1.000 Höhenmetern und insgesamt 75km Strecke, hat die zerklüftete Mitelmeerinsel Cres unser ganzes Können abverlangt. Nun noch die letzten Punkte von der To-Do-Liste streichen – Fährticket für morgen besorgen und eine Bleibe für die Nacht finden, dann ist auch dieser Tag beendet. Da das Ticketbüro bereits geschlossen hat, versuche ich in einer Bar die Info einzuholen.
Als gestandener Mann voller Stolz und Würde betrete ich die Bar und wanke als geschundenes Psychowrack wieder hinaus. Mit Zigarette in der Hand. „Was ist?“ fragt Minxin. „Keine Fähre morgen?“. „Ja, keine Fähre.“ „Wann kommt die nächste? Übermorgen?“ „Nein. Am Freitag.“ „Aber heute ist doch Freitag.“ „Ja heute ist Freitag. Eine Fähre pro Woche. Die heutige hat vor zwei Stunden ihre Anker gelichtet“.
Wir sind also einen Tag lang in die längste Sackgasse der Welt geradelt und haben nun den Wendehammer erreicht. Dabei hörten wir in Cres noch wesentlich optimistischere Versionen des kroatischen Fährfahrplans. Jeden Tag eine morgens nach Zadar erzählte uns der freundliche Kellner im Fischrestaurant. Jeden Tag eine abends meinte die Kassiererin im Supermarkt. Jemand anders glaubte, wir müssten uns einen Tag gedulden, am Samstag würde man einen Tag Pause einlegen. Alles okay, aber eine Woche warten ist für uns keine Option. 80km über die sieben Berge zurückradeln, um wieder von vorne anzufangen, allerdings ebensowenig, Unsere Knie brauchen eine Pause. Der letzte Funke Hoffnung erlischt als wir erfahren, dass die kleineren Katamarane zwar täglich nach Rijeka schippern, aber keine Fahrräder mitnehmen. Freitag, der 13.
Auf der Suche nach einer Unterkunft irren wir orientierungslos die Hafenpromenade entlang, bis Minxin schließlich eine jüngere Dame anspricht. Nein, die meisten Pensionen und Hotels seien geschlossen, antwortet diese, aber sie kenne jemand, der privat und billig Zimmer vermieten würde, auch in dieser Jahreszeit. Und dann geht alles blitzschnell.
So läuft das in Kroatien – irgendwen ansprechen, derjenige wird schon jemanden kennen, der uns weiterhelfen kann. In der Tat, Gordana kann uns nicht nur ein Zimmer zur Verfügung stellen, sie möchte auch bei der Schifffahrtsgesellschaft für uns ein gutes Wort einlegen. Zwei Handytelefonate später sind wir im Besitz einer Ausnahmegenehmigung für den Transport von Fahrrädern auf Katamaranen. In der Nebensaison könnte man mal ein Auge zudrücken, beruhigt man uns. Einziger Haken: der Katamaran fährt nach Rijeka, also in die falsche Richtung, doch wir hoffen, dass wir von dort aus per Bus, Bahn oder meinetwegen Schiff einfacher nach Zadar oder Split kommen werden als von diesem kleinen Inseldorf aus. So oder so bleibt uns nun ein Tag Pause zum Entspannen in Mali Lovenj.
Inselpanoramen (oben), die Inselhauptstadt zählt 2.500 Einwohner (m.m.); man verhungert nicht in Kroatien (m.r.); noch eine weite Fahrt bis zum Ziel (u.r.)
14. Februar 2015: in Mali Losinj
Wir arbeiten uns von Café zu Café die Strandpromenade entlang und hinterlassen eine Schneise der Verwüstung. Laut GPS haben wir gestern 6.000 Kalorien verbrannt aber seit fast 24 Stunden nichts mehr gegessen. Nach mehreren Portionen Eis, Kuchen und frittierten Sardellen reift das Bewusstsein, dass es im Umkreis von 20km nix mehr zu essen geben wird, wenn wir uns nicht bald beherrschen.
Daher nix wie ab zur Dorfstraße, wo heute ein Karnevalsumzug stattfinden soll. Tatsächlich ist dieser schon im vollen Gange und wagt einen Ausflug in Richtung kroatischer Ingenieurskunst. Statt den üblichen Umzugswagen, aus denen Bonbons und Konfetti herabregnen, jagen die Bewohner von Mali Losinj in eigens konstruierten Seifenkisten die Altstadtgassen herab. Was soll ich sagen? Ein rasendes deutsches Bierzelt, Fred Feuerstein in seiner Steinzeitkarosse, Charles Lindbergh bei der Atlantiküberquerung, eine DIY-Mercedes-S-Klasse-Limo und ein venezianisches Schiff sind nur einige der Highlights. Die Stimmung ist entsprechend ausgelassen, nur ein kahlgeschorener Hüne in Alpha-Bomberjacke mag zunächst nicht so recht ins Bild passen, bis dieser in einem pinken – Gaymobil mit roasaroten Herzchen an uns vorbeirast.
trübes Wetter, gute Stimmung: Karneval in Mali Losinj
15. Februar: Von Mali Lovenj über Rijeka nach Split
Gehe zurück zu Los, ziehe nicht 4.000 DM ein, etc. = Wir besteigen die Fähre nach Rijeka und werden gleich mit der nächsten Hiobsbotschaft konfrontiert: es fahren keine Fähren im Winter von Rijeka Richtung Süden. Züge und Busse dagegen schon, nur nehmen diese keine Fahrräder mit. Hm. „The best way is by bicycle“, meint später der Ticketverkäufer am Hafen von Rijeka lächelnd. Nochmal hm. Okay, wir nennen das Ganze “Bike to Asia”, also sollten wir es gar nicht erst mit öffentlichen Verkehrsmitteln versuchen. Nur ist, wie bereits erwähnt, die Küstenstraße in Kroatien in den letzten Jahren autobahnartig ausgebaut worden und dementsprechend stark befahren. Und ja, sicherlich gibt es als Alternative noch kleine Nebenstraßen, doch bedeuten diese einen langen Umweg. Mitte März sollten wir die Türkei erreicht haben, denn dann geht Mixnins 30 Tage Visum los.
Wie wir später erfahren , stecken die kroatischen Schiffahrtsbetreiber in finanziellen Schwierigkeiten und haben in den letzten Monaten zahlreiche Routen gestrichen. Dies macht sich vor allem in der Nebensaison schmerzhaft bemerkbar.
„Schauen Sie mal am Busbahnhof vorbei, vielleicht nehmen die ja doch Fahrräder mit“, schlägt der Ticketverkäufer vor. „Der Bahnhof befindet sich gleich gegenüber nur 500m entfernt. Wenn Sie in die Pedale treten, sind Sie sofort da. Nur – es gibt da ein kleines Problem“.
Welches, werden wir sofort merken. Schon nach den ersten Metern sind wir von Godzillas, Teletubbies und Mickeymäusen umringt und drohen in diesem Inferno von schrillen Kostümen, pumpenden Bässen und gröhlendem Partyvolk die Orientierung zu verlieren. Ein weiterer Karnevalsumzug! Der weltweit drittgrößte erklärt man uns. Alle paar Meter ein Schulterklopfer, ein Schluck Schnaps und interessierte Fragen: „Where do you come from? What are you doing here?”. „We celebrate Carneval with you, dressed up as bicyclists“, geben wir zu verstehen. Mit jedem Schluck Alkohol erlischt meine Motivation am Busbahnhof vorbeizuschauen und da irgendwas zu klären. Warum auch, wenn es hier so nett ist? Noch sind es 300 Meter bis dahin, das wären umgerechnet etwa 6-7 Schnaps und 0,5 Promille mehr. Werden wir es schaffen? Oder wird unser Wille vorher erlahmen?
Um Euch nicht zu lange auf die Folter zu spannen: wir schaffen es dann doch recht problemlos und erfahren, dass der nächste Bus Richtung Süden sofort abfährt. Und gerne auch mit Fahrrädern gegen einen geringen Aufpreis, diesen müssten wir aber beim Busfahrer persönlich erfragen. Ich renne zum Bus, während Minxin auf die Fahrräder aufpasst und zielsicher unser Mittagessen am Fastfoodstand zusammenstellt: Croissants und Pizzaecken. Der Busfahrer ist leider nicht zu sprechen, er muss gerade Gandalf und Kung Fu Panda fotografieren. Also zurück ins Ticketoffice, Karten kaufen, dann zum Bus, dann die Fahrräder einsammeln und wieder zurück zum Bus. Geschafft, kann losgehen.
Die Fahrt verläuft völlig unspektakulär. Oder soll ich jetzt schreiben, dass wir während der 7stündigen Fahrt entlang der malerischen Adriaküste ständig wegnicken und noch Gravity ansehen? Wir lassen Zadar links liegen und erreichen bei Dunkelheit Split, unsere nächste Reiseetappe. Und Zadar? Lesen wir uns auf Wikipedia durch.
Blick auf Rijeka (o.l., o.m.); noch mal Karneval (o.r., u.l.); Zwischenstop während der Fahrt nach Split (u.r.)
Christof (Sonntag, 22 Februar 2015 17:06)
So ein großes Abenteuer! ... und so viel Sonne, die Ihr Euch aber mit großen Anstrengungen erkauft habt. Paßt gut auf Euch auf. Weiterhin gute Reise.
Ekki (Donnerstag, 19 Februar 2015 17:43)
Toller Bericht! Wir hatten die Woche alle die Grippe, so daß ich Frederik und Ninja vorgelesen habe. Weiterhin alles Gute & viele Grüße!
Tobi (Donnerstag, 19 Februar 2015 10:51)
Mensch, da bin ich ja mal richtig neidisch. Wir hatten zwar das Glück mit der Fähre, aber bei Euch scheint ja das Wetter im Gegensatz zu uns seit Venedig bestens zu sein. Was ist mit dem berühmten Winterregenklima im Mittelmeerraum? Auch nicht mehr das, was es mal war...
Wünsche Euch weiterhin viel Sonne und viel Spaß auf den nächsten Kilometern ;)