Speisen unter Anteilnahme der Weltbevölkerung

Im nächsten Reiseabschnitt spielen wir in Istanbul längst vergessen geglaubte Telespiele, wohnen in Düzce dem größten (sportlichen) Comeback seit Lazarus bei, ordern dort unser Mittagessen unter Anteilnahme der Weltbevölkerung in Echtzeit, bevor wir noch am selben Abend Opfer eines dramatischen Psychothrillers werden. Und das alles spielt sich auf asiatischem Boden ab.


20. März: innerhalb Istanbuls

Strecke: 17 km

Min. Höhe: 0 m, Max. Höhe: 92 m

Höhenmeter: 300 m

Alleine diese Fahrt durch die 15 Millionen - Metropole Istanbul hätte einen eigenen Blog verdient. Auf nur 17km überwinden wir 300 Höhenmeter – Rechenfüchse haben bestimmt schon den extrem hohen Quotienten aus Höhenmetern und zurückgelegter Wegstrecke bemerkt. Die Stadt wurde wie Einheimische gerne behaupten auf sieben Hügeln errichtet. Mittlerweile dürften es weit über 50 sein. Wie ein Krake streckt der Moloch seine Arme immer weiter beiderseits des Bosporus aus, begräbt ganze Dörfer, überwuchert Felder und Wiesen, wächst über die Berge in Seitentäler, bis mit dem Schwarzen Meer eine unumstößliche Grenze erreicht ist. Als wir Tage später die Stadt per Fahrrad wieder verlassen, werden wir einen noch gewaltigeren Eindruck von ihrer schieren Größe bekommen.

Große Boulevards mit hektischem Verkehr schlagen breite Schneisen durch finstere Industriereviere und Wohnsiedlungen, die mit zunehmender Strecke einen immer wohlhabenderen Eindruck hinterlassen. Als schließlich gepflegte Parkanlagen und stolze Verwaltungsgebäude den Weg säumen, ist das Stadtzentrum erreicht.

Die besagten 17km absolvieren wir in jeder erdenklichen Form der Fortbewegung: fahrend, laufend, schiebend. Es geht nach links, rechts, nach oben und unten. Jede Lücke zwischen den hupenden, qualmenden, röhrenden Motorrädern, Autos und Lkw wird optimal ausgefüllt. Instinktiv erinnert mich das Hin und Her/Auf und Ab an ein Computerspiel aus den 80er Jahren: Tetris, hier in der türkischen 3D-Version.

Wir verlieren uns mit unseren schwerbepackten Fahrrädern im Gassengewirr der Altstadt, überqueren die Galata Brücke und beziehen nach einigem Suchen ein kleines Zimmer im Ausgehviertel Beyoglu, dem europäischen Teil Istanbuls. Den Abend laufen wir durch die belebte Fußgängerzone zum Taksim Platz und gönnen uns noch ein Feierabendbierchen in der Bar nebenanan. Doch nicht nur wir wissen zu feiern. Bis 6 Uhr morgens herrscht vor unserem Fenster Ausnahmezustand – ein Szenario, das sich in den nächsten Tagen wiederholen wird.

Ankunft am Bosporus: 17km für einen neuen Blog


21. - 25. März. in Istanbul

Istanbul ist ein Ort mit Suchtpotential. Ursprünglich wollten wir hier drei Tage bleiben, am Ende wurden es sechs. Und es wären gut und gerne zehn geworden, wenn wir uns nicht wegen Minxins begrenzter Aufenthaltsdauer irgendwie hätten loseisen können.

Am Anfang erledigen wir fast widerwillig unsere Routineaufgaben: Fahrradpflege, Post, Wäsche waschen.

Dann zwängen wir uns aus unserer Outdoorkluft und schlüpfen für fünf Tage in die Rolle des gewöhnlichen Touristen. Nichts unterscheidet uns von den restlichen, mit Fotoapparat bewaffneten Reisenden, die zu mindestens 50% aus Deutschland zu stammen scheinen. Leider haben wir keine Anlaufstellen in Istanbul und nach einigen Tagen vermissen wir die persönlichen Begegnungen, die unsere Reise bislang geprägt haben.

Die ersten drei Tage kommen wir kaum über das Altstadtviertel hinaus, da uns das unübersichtliche ÖPNV System der Stadt überfordert. Zwar hat Istanbul alles zu bieten – Taxi, U-Bahn, Tram, Bus, Fähren, sogar unterirdische Zahnradbahnen, aber irgendwie nichts davon so richtig, sprich zusammenhängend und flächendeckend  Am ersten Tag bringt uns eine Kombination aus Bus, Metro und Zahnradbahn in einer Stunde zum Zielort, am nächsten bleibt der Stadtbus wegen Stau in der Rushhour stecken, am dritten versuchen wir es mit einem marathonwürdigen Berg- und Talauf, und am vierten muss schließlich ein sündhaft teures „Taksi“ dran glauben. Außerdem stimmt unser Timing nicht. Als wir der Hagia Sophia einen Besuch abstatten wollen, hat diese Ruhetag. Also weiter zur Blauen Moschee, wo prompt der Muezzin bereits zum Gebet ruft. Touristen müssen warten. Die Topkapi Festung ist nach einem strammen 15 minütigen Fußmarsch erreicht, soll aber in ebenfalls einer Viertelstunde schon wieder schließen. Bleibt also nur noch der Kaffee und Kuchen in der Konditorei übrig. Passt immerhin, ist ja Sonntagnachmittag.

Einen Effizienzschub erhält unsere Stadterkundung erst durch den Erwerb eines deutschsprachigen Reiseführers aus dem Jahr 1957, für den wir in einem Antiquitätenladen umgerechnet 2 Euro bezahlen. Okay, einige Angaben mögen etwas veraltet anmuten – zum Beispiel „dass mit den oft furchteinflößend dreinblickenden Beamten nicht immer zu spaßen sei“. Andererseits stimmen die Ortsangaben nach wie vor, und auch der Hinweis, die „Türken seien in der Regel gar lustige Gesellen“ mag noch Bezug zur Gegenwart haben.

„Schmelztiegel der Kulturen“, „die Brücke zwischen Orient und Okzident“ – solche Begriffe hört man öfters wenn von Istanbul die Rede ist. Sie mögen etwas verbraucht bringen, besitzen aber unverändert Gültigkeit und machen die Faszination dieser Stadt aus. Gefühlt irgendwo zwischen Ibiza und Saudi Arabien verortet, entdecken wir Frauen im Minirock und tiefverschleiert Seite an Seite. Auch die Hagia Sophia, bis zur osmanischen Eroberung im 15. Jahrhundert die weltweit größte christliche Kirche, vereint islamische und christliche Architekturstile in sich. Und lässt uns schlagartig den Atem stocken, als wir durch das Säulenportal in die Halle treten. Mit ihrem Mosaiken und Goldfresken wirkt sie auf uns noch imposanter als der Petersdom in Rom.  Die Topkapi Festung mit dem Sultanspalast und Harem nur einen Steinwurf entfernt, erscheint dagegen wie eine Fata Morgana aus 1001 Nacht.

Am letzten Tag kauft sich Minxin Schmuck auf dem Großen Basar, ich lasse mir nach 2 Monaten nach mehreren Ankündigungen endlich den Bart rasieren. Dann lassen wir unseren Istanbul Aufenthalt mit einer Bootstour über den Bosporus ausklingen. Und freuen uns, endlich wieder auf das Fahrrad steigen zu können.

7 Tage in Istanbul

 

26. März: Istanbul – Pendik

Strecke: 40 km

Min. Höhe: 0 m, Max. Höhe: 83 m

Höhenmeter: 117 m

Am heutigen Tag erhält der Name unserer Website endlich wahre Bedeutung. Wir nehmen die Fähre über den Bosporus und betreten erstmals asiatischen Boden.

Ich sinne über die Namensgebung unserer Website. Die Domain „Bike to China" war bereits besetzt, und das ist gut so,  stelle ich fest während wir über die Meerenge schippern. Denn mit „Bike to Asia“ liegt die Latte wesentlich niedriger, und wir können bereits heute das Erreichen unseres Minimalziels feiern.

Wirklich asiatisch sieht es auf der anderen Seite des Bosporus indes nicht aus. Lediglich die beiden freundlichen Iraner, die wir am Fährhafen in Üsküdar treffen, verleihen unserer Erstbetretung etwas exotischen Glamour. S. und I. sind für ein paar Tage nach Istanbul gefahren, um die weltoffene Atmosphäre am Bosporus zu genießen. Wir werden, solltes mit dem Visum klappen, im Mai den Iran erreicht haben. S. und I. wünschen uns einen angenehmen Aufenthalt in ihrem Land, warnen aber vor „Küssen in der Öffentlichkeit“ oder „Alkohol trinken“. Obwohl sie leider nicht auf unserer Strecke wohnen, tauschen wir unsere Handynummern und Adressen aus.

Direkt hinter dem Fenerbahce-Fußballstadion stoßen wir auf einen sauber markierten Fahrradweg, der uns trotz einiger Unterbrechungen tapfer über 25km begleiten wird. Vorbei an Beachvolleyballfeldern, Strandcafés und Yachthäfen spulen wir auf ebenerdiger Strecke routiniert unser Tempo runter. So kann es bis China gerne weitergehen. Unser Kalorienverbrauch sinkt auf den eines Schachspielers. Die einzige Herausforderung stellen die Myriaden an Inlineskatern, Joggern, Flaneuren und Motorradfahrern dar, die überfallartig aus der entgegenkommenden Richtung vor unseren Fahrrädern auftauchen. Längst sind wir aus dem „Tetris“ in den „Frogger“ - Modus gewechselt: ausweichen, bremsen, beschleunigen, nach links und wieder bremsen. Frogger ist ein weiteres beliebtes Computerspiel, oder besser: „Telespiel“ aus den frühen 1980er Jahren.

In einem Strandcafé lernen wir Hasan kennen, der sich ebenfalls als „passionate biker“ zu erkennen gibt. Er ist Vorsitzender eines Fahrradclubs in Istanbul, nach seiner Auskunft, der professionellste von insgesamt 50 in der Türkei. In den letzten Jahren sind in der Türkei in zahlreichen Städten solche Fahrradvereine gegründet und Fahrradwege wie dieser hier angelegt worden. Es tut sich etwas in der Türkei.

Als die Sonne hinter den nicht endenwollenden Hochhaussiedlungen versinkt, loggen wir uns aus der Feierabendsportlerautobahn aus, schieben unsere Fahrräder in blanker Todesangst über eine stark befahrene sechsspurige Stadtautobahn und checken in einem laut hiesiger Polizei „bad hotel“ ein. Tatsächlich befindet sich die Unterkunft infolge einer unbefriedigenden Einnahmesituation zur Hälfte noch im Rohbau, doch dürfen wir immerhin ein bereits fertiggestelltes Zimmer für eine Nacht beziehen. Um fünf Uhr morgens ruft der Muezzin von der nahegelegenen Moschee zum Gebet.

Istanbul - kein Paradies für Radfahrer (o.l.); Ankunft in Asien, Minimalziel erfüllt (o.m.); iranische Urlauber (o.r.); 25km langer Fahrradweg (u.l.)

 

27. März: Pendik – Kocaeli

Strecke: 91 km

Min. Höhe: 0, Max. Höhe: 180 m

Höhenmeter: 741 m

Der gestrige Malibu Beach Drive endet abrupt an einem militärischen Sperrgebiet. Ab jetzt geht es durch ein schier undurchdringliches Labyrinth von Stadtautobahnen, Überlandstraßen und Gemeindestraßen Richtung Osten. Laut Wikipedia war die Stadt Pendik, in der wir gestern übernachtet haben, vor 50 Jahren noch ein unbedeutendes Fischerdorf von kaum 10.000 Seelen. Heute leben 650.000 Menschen hier. Die Nachbarstadt Tuzla hat ihre Einwohnerzahl im selben Zeitraum von 1.000 auf 270.000 Einwohner verzweihundertsiebzigfacht. Ein Amalgan von Luxusvilllen, Strandbars, Industrieparks, Trabantenstädten und Gecekondulars, der verdeutlicht, welche gigantischen sozialen Umwälzungsprozesse in den letzten Jahrzehnten in diesem Land stattgefunden haben. Die Bevölkerungsexplosion ist vor allem auf Landflucht aus den ärmeren Regionen wie Ostanatolien zurückzuführen.

Die Türkei ist das erste islamische Land, das wir bereisen. In den Städten mutet der Lebensstil der Menschen eher westlich an. Dennoch steigt der Exotikfaktor. Bisher waren wir für die meisten Menschen nur gewöhnliche Fahrradtouristen aus Deutschland, jetzt werden wir auf der Straße nicht nur wegen unserer Fahrräder angestarrt. Minxin als Asiatin exponiert noch die Aufmerksamkeit der Menschen. Gewisse Sätze klingen in jeder Sprache gleich. „Was sind das für Leute?“, fragt ein vielleicht 6jähriger Junge seine Mutter mit Kopftuch. „Turist“, lautet die Antwort. Aha - „Turisten“ sind wir also. Gefällt uns, wie sich das anhört.

Gestern hatten wir uns zum Ziel gesetzt, möglichst weit aus dem Stadtzentrum von Istanbul herauszufahren. Heute geht es darum, endlich diese monströsen Häusermeere hinter uns zu lassen, um mal wieder saubere Luft atmen zu können. Erst hinter Kocaeli, ca. 100km östlich von Istanbul, soll die Bevölkerungsdichte sinken und Raum für Wälder und Wiesen machen.

Der Nachmittag versinkt im Regen. Wir blicken auf die schneebedeckten Berge auf der gegenüberliegenden Meeresseite, staunen über ein gigantisches Brückenprojekt am Marmarameer und erreichen schließlich kurz vor Einbruch der Dunkelheit Kocaeli.

Es soll die letzte Nacht im Hotel werden. Wir kommen im pompösen Pasha Palace Hotel neben der Autobahn unter, wo heute abend Özgur Say, ein angesagter lokaler Künstler, ein Konzert geben wird. Özgur gibt sein Letztes und im Hochzeitssaal des Hotels ist bis nach Mitternacht Remmidemmi angesagt. Die Türkei ist das erste islamische Land, das wir bereisen. Und das bislang feierwütigste.

Fear and Loathing östlich von Istanbul; das erste mal beradeln wir eine Autobahn (o.m.); hilfsbereiter Weg-Weiser (u.m.); Rambazamba in Kocaeli am Abend (u.r.)


28. März: Kocaeli - Hendek

Strecke: 76 km

Min. Höhe: 8 m, Max. Höhe: 178 m

Höhenmeter: 300 m

Beherzte Pedaltritte tragen uns rasch aus dem Großstadtmoloch davon. Nach 10 Tagen Stadt erblicken wir wieder Kuhweiden und Waldstücke entlang der zweispurigen Landstraße. Wir rasten an einem See und spüren den nun unaufhaltsam herannahenden Frühling. Das Quecksilber klettert Richtung 20 Grad Marke, die Bäume sind von einen zarten grünen Netz umgarnt. Auch die Kirschblüte, die uns das erste Mal in Kroatien begegnete, wird uns die nächsten Tage durch die Türkei begleiten. Das überraschend schmackhafte Abendessen nehmen wir in einer Autobahnraststätte ein. Noch ist die Gegend dicht besiedelt, sodass wir keinen geeigneten Zeltplatz finden und bis weit nach Einbruch der Dunkelheit bis Hendek radeln müssen. Dort begegnen uns nur strahlende Gesichter, die glühend vor Vofreude dem heutigen EM-Qualifikationsspiel gegen die Niederlande entgegenfiebern. Es ist Samstagabend, die Stadtbevölkerung drängt sich in Kneipen und Dönerläden um Fernseher und Videoleinwände.

Blick aus unserem Hotelfenster in Kocaeli (o.l.); nach 10 Tagen endlich wieder Natur am Sapancasee (mitte); gutes Essen an einer Raststätte (u.m.); Obst in Hendek (u.r.)

 

29. März: Hendek - Kaynasli

Strecke: 59km

Min Höhe: 119m, max. Höhe: 445m

Höhenmeter: 521m

Missmutige Blicke und ratloses Schulterzucken am nächsten Morgen. Die Holländer haben die Türken in letzter Minute um einen nicht unverdienten Sieg gebracht. Verwirrung auch bei uns – wir sind am Sonntagmorgen um 8:00 Uhr aufgestanden, zwei Stunden später ist es bereits 11:00 Uhr. Da stimmt doch etwas nicht. Nachdem Minxin und ich uns eine hitzige Diskussion um die Richtigkeit der Uhrzeit geliefert haben, wird uns auf einen Schlag gewahr, dass gestern auch die Türkei auf Sommerzeit umgeschaltet hat. Hach, ist das alles kompliziert hier in Asien! So fehlt uns heute bereits eine Stunde zum Radeln, andererseits wird es nun erst eine Stunde später dunkel, das Fahren in der Dunkelheit dürfte also endlich ein Ende haben.

Wir machen Höhenmeter, erblicken schneebedeckte Berge am Horizont und radeln durch ein malerisches Tal. Die Landschaft mit ihren Seen und Nadelwäldern mutet fast nordisch an. Dann erreichen wir nach einer rasanten Bergabfahrt Düzce, die nächste Kreisstadt.

Die Region um Düzce litt 1999 am meisten unter dem katastrophalen Erdbeben, das rund 30.000 Todesopfer forderte. Laut Wikipedia zerstörte es 80% der Wohnviertel und 87% der Industrieanlagen der Stadt, der lokale Fußballklub stieg vorübergehend von der zweiten in die fünfte Liga ab.

16 Jahre später ist Düzce als elegant und modern wirkende Stadt wieder zu neuem Leben erwacht. Und das ist nicht mal alles, denn heute feiert zudem Düzcespor den vorzeitigen Wiederaufstieg in die zweite Liga.

Das kleine Stadion platzt aus allen Nähten, wer keine Karte ergattern konnte, verfolgt das Spiel von der altehrwürdigen Holztribüne des benachbarten Bolzplatzes aus oder klettert die Abfangnetze hinauf. Nach dem Schlußpfiff sind die Straßen der Stadt in ein blau-rotes Fahnenmeer getaucht und von einem infernalischen Hupkonzert erfüllt. Wir verfolgen die Autokorsos von einem kleinen Gartenlokal aus, das mit einem besonders innovativen Bedienkonzept überrascht: ein Tabletcomputer ersetzt die konventionelle Speisekarte, die Gerichte werden über Touchscreen ausgewählt und per Mouseclick in Echtzeit an die Küchencrew gesendet. Wer den Auftritt in der Masse nicht scheut, kann seine Bestellung auch gleich auf Facebook der Weltbevölkerung mitteilen. Wir übersehen vor lauter Begeisterung den fast leeren Akku und müssen unsere Bestellung analog, also mündlich an den ansonsten beschäftigungslosen Kellner weitergeben.

Erbarmungsloser Regen setzt ein. Die steil abfallenden Berghänge rücken zusammen und zwängen die Straße in ein enges Korsett. So finden wir erst nach einigem Suchen ein Zeltplatz, der dummerweise für einen Sekundenbruchteil von herannahenden Autos einsehbar ist. Kaum ist das Zelt aufgebaut, biegt ein Pkw um die Ecke, verlangsamt die Fahrt um wieder zu beschleunigen. Als der Fahrer aus dem Blickfeld verschwunden ist, krieche ich erleichtert in unser Zelt und freue mich auf den bevorstehenden Abend.

Doch dann taucht das Auto wieder auf. Es stößt zurück, wendet, schaltet Fernlicht ein und blendet in unsere Richtung. Wir fühlen uns in unserem kleinen Zelt wie ein Rehkitz im Visier eines Maschinengewehrs. Eine stämmige Gestalt verlässt den Wagen, marschiert in unsere Richtung und starrt uns aus etwa 20 Metern Entfernung an. Langsam wird die Lage kritisch. „Was will der?“ flüstert Minxin nervös und erntet von mir nur entnervtes Kopfschütteln. Unsere Türkischkenntnisse umfassen etwa zwei Dutzend Wörter und dürften nicht zu einer deeskalierenden Klärung der Lage beitragen.

Die Zeit vergeht. Der Mann bleibt wie angewurzelt stehen und guckt. Und guckt. Und guckt. Schließlich fasse ich mich ans Herz und frage „Can we help you?“. Ich bemühe mich um eine forsche, selbstbewusste Stimmlage. Es gelingt mir bis zum letzten Wort. Das „you“ ist dann nur noch ein heiseres Krächzen. Der Mann murmelt etwas Unverständliches und steigt in sein Auto, startet den Motor und fährt wieder los. Doch er bleibt mit angeschalteten Licht nur wenige Meter entfernt stehen. Eine halbe Stunde lang passiert überhaupt nix. Der Mann verlässt nicht das Auto, erlöst uns aber auch nicht von unseren Höllenqualen. Stören wir gerade bei einer planmäßigen Übergabe von ein paar kg Kokain?

 

Wir werden es nie erfahren. Nach einer weiteren Stunde ist das Auto verschwunden und kommt nicht wieder.

die Wiedergeburt Düzcespors (o.m.); Suche nach einem Zeltplatz (u.l.); Teil dein Essen mit der Weltbevölkerung (u.m.); Zigarettentausch (u.r.)


30. März: Kaynasli - Bolu

Strecke 32km

min. Höhe: 375m, max. Höhe: 943m

Höhenmeter:

Ein ruhiger Tag ohne besondere Vorkommnisse, wenn man von einem 600 Meter hohen Anstieg mal absieht. Die Steigung ist härter als bei den vorangegeangenen Bergetaqppen, die zahlreichen Lkw schnaufen mühsam der Passhöhe entgegen und haben Mühe, uns zu überholen.

Nachdem wir den 950 Meter hohen Sattel erreicht haben, ist unser heutiges Etappenziel Bolu nicht mehr fern. Bolu ist eine weitläufige, grüne Stadt auf 700 Meter Höhe. Wie fast alle türkischen Kreisstädte, gibt es eine Fußgängerzone mit Shoppingcenter, McDonalds und Burger King sowie einen zentralen Platz mit Atatürk Denkmal und eleganten Cafes zu besichtigen. In einem solchen treffen wir auf unseren Coachsurfing Gastgeber Nummer 5, Ömer Faruk. Den Weg in die nahegelegene Wohnung legen wir schiebend zurück, da Ömer auf dem 1km langen Weg etwas geschafft hat, was uns auf 2.800 km Wegstrecke bislang verwehrt blieb: einen Plattfuß in den Reifen zu zaubern. Den Abend verbringen wir ein paar km entfernt bei Verwandten von Ömer. Es wird trotz, oder gerade wegen der unübersehbarer Sprachbarriere wieder ein lustiger Abend, an dem wir unseren türkischen Wortschatz fast verdoppeln können. Wir möchten uns somit an dieser Stelle nochmals für die überwältigende Gastfreundschaft der Türken bedanken, die nicht nur, aber besonders heute abend zur Geltung kam.

Aufbruch nach einer beunruhigenden Nacht (o.l.); Blick ins Tal von der Paßstrasse aus (o.r.); zentraler Platz in Bolu (m.m.); Ömers Familie (unten)

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Kommentare: 1
  • #1

    Zhangxiaoling (Donnerstag, 02 April 2015 11:35)

    盼了好几天,终于盼到了更新。甜点照片让我直咽口水啊