Cold Turkey

Die Fahrt durch das anatolische Hochland ist ein ständiges Auf und Ab: Gebirgspaß folgt auf Gebirgspaß, ebenso erleben wir alle vier Jahreszeiten in einer Woche. Lediglich die Gastfreundlichkeit der Türken bleibt eine Konstante und ermöglicht es uns, die schönste Stadt der Welt kennenzulernen und Geysire in einem Polizeibüro zu besichtigen.

31.3. in Bolu

Ömer Faruk muss zur Arbeit, wir hingegen sind bei seiner Schwester zum Frühstücken eingeladen. Diese verabschiedet sich nach wenigen Minuten zu einem Zahnarzt Termin, kurz darauf eilt auch der Vater, ein Tierarzt, aus der Wohnung. „Emergency: rabbit“, verkündet er. Jetzt sind wir mit der Großmutter und Enkelin alleine. Wir möchten in Ömers Wohnung zurück, unsere Sachen packen und losfahren, doch dazwischen türmt sich eine mannshohe Sprachbarriere. In einer Kombination aus Schlüsselwörtern und Gesten können wir Ömers Großmutter unser Anliegen mitteilen, sodass diese zum Handy greift und mehrere Nummern wählt. Doch es kommt kein Gespräch zustande. Während wir über überlastete Handynetze sinnieren, geht urplötzlich der Fernseher aus. Stromausfall.

Eigentlich sollte uns der Vater oder die Schwester wieder zur Wohnung zurückfahren und uns die Schlüssel geben, doch ein offensichtliches Missverständnis, ein Zusammenbruch des Handy-/ Stromnetzes und ein Hase in Nöten verlängern unseren Aufenthalt in Bolu auf unbestimmte Zeit.

In der Stadt sind die meisten Cafés und Geschäfte wegen des Stromausfalls geschlossen. Wir laufen zur Moschee, durchkämmen den Bazar, laufen die Fußgängerzone zurück und gehen in das zweistöckige Shoppingcenter, das noch Strom hat. Dort gucken wir uns ein paar Filmplakate an.

Danach gehen wir zurück zum Basar, schauen kurz auf die Moschee und laufen durch die Fußgängerzone zum Shoppingcenter, wo wir eine Zoohandlung entdecken.

Variante drei: wir fotografieren die Moschee, setzen uns auf ein paar Bänke in der Fußgängerzone und reden über das Shoppingcenter und seine Filmplakate und die Zoohandlung.

Irgendwann ist die Stadt Bolu zu klein für uns und unsere Pläne. Bolu hat zwar einige Sehenswürdigkeiten in der Nähe, doch die Busse dorthin sind schon längst abgefahren.

Doch selbst aus tiefster Finsternis erwächst ein Lichtstrahl. Denn als der Himmel sich verdunkelt,  naht die Rettung in Gestalt von Ömer. Dieser hat in seinem Büro wieder Internet und startet über Facebook eine Suchfahndung nach den beiden Fahrradtouristen aus Deutschland. Als sich die ersten Indizien erhärten, schwingt er sich auf sein Quad und sammelt die gleichermaßen desperaten wie überraschten deutschen Urlauber zwischen Moschee und Shoppingcenter in der Fußgängerzone wieder auf.

Wieder glücklich vereint, brausen die drei Helden auf einem Quad (soll man nicht machen, ich weiß!) dem Sonnenuntergang entgegen, um eine weitere Nacht gemeinsam in einer Boluer Vorortwohnung zu verbringen.

Womöglich der spannendste Tag unserer Reise.

Frühstück mit Folgen; Warteschleife in Bolu (v.l.n.r.)

 

1.4. Bolu - Gerede

Strecke: 61 km

Min. Höhe: 722 m, Max. Höhe: 1425 m

Höhenmeter: 938 m

Ich schleiche eine Anhöhe und hinauf und wunder mich wo Minxin geblieben ist. Wir haben die Vereinbarung getroffen, immer in Sichtweite zu radeln und uns nicht aus den Augen zu verlieren. Manchmal lässt sich aber genau das nicht vermeiden, beispielsweise wenn einer von uns während einer steilen Bergabfahrt einen Fotostopp anlegt. Nun geht es aber bergauf und ich habe das Tempo deutlich reduziert.

Ein Pkw hält neben mir an. Ein Kopf streckt sich aus dem Fenster. Hupen und aufmunternde Zurufe sind in der Türkei nix Ungewöhnliches, doch diesmal ist es anders. Der Mann spricht mit ernster Stimme, die einzigen Wörter, die ich verstehe sind „Madame“ und „Alert“. Für einen Moment erstarre ich. Alert = Notfall. Das klingt alles andere als gut. Ich Idiot. Warum habe ich nicht gewartet? Ich rase dieselbe Strecke wieder nach unten und bemerke einen neben der Straße geparkten LkW, der Schlimmstes befürchten lässt. Zum Glück nehmen die Fahrer des LkW keine Notiz von mir, ebenso erleichtert registriere ich die gelangweilten Gesichter hinter dem Steuer der vorbeifahrenden Autos. An der Polizeistation am Ortsausgang von Yenicaga hat sich eine Menschentraube versammelt. Ich sehe wie Minxin. ihr Fahrrad an mehreren wildgestikulierenden Männern vorbeischiebt. Ihr scheint nichts passiert zu sein. Gottseidank.

Dafür dem Fahrrad. Etwa zwei Tage nachdem ich mich auf diesem Blog über Ömer Faruks Reifenpanne mokiert habe, haben wir unseren ersten Plattfuß. Eine Bagatelle, verglichen mit den Szenarien, die mir noch vor wenigen Sekunden durch den Kopf gingen. Offensichtlich ist Alert im türkischen ein Wort, das gleichermaßen Notfälle wie harmlose Pannen abdeckt.

Wie in der Türkei üblich, sind sofort Männer zur Stelle, die uns eine kostenlose Reparatur inklusive „Check Komplet“ und der obligatorischen Tasse Tee danach anbieten. Überhaupt, das muss an dieser Stelle noch einmal gesagt werden, sind wir regelrecht beeindruckt von der Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Türken. Es ist nicht so, dass uns in Europa die Leute ablehnend begegnet wären, im Gegenteil, seit Hildesheim haben wir eher den Eindruck, dass man als Fahrradfahrer einen Sympathiebonus genießt. Dennoch ist die Türkei nochmal ein Kapitel für sich. Taucht irgendwo ein Problem auf, sind sofort Leute zur Stelle, die es trotz Sprachbarriere beheben können. Sind alle Hotels voll, wird eine Privatunterkunft organisiert. Ist die Straße zu steil, landen unsere Fahrräder auf der Ladefläche eines Lkw. Und zu allem gehört die Einladung auf einen Tee. An Rekordtagen bringen wir es auf 8 „Chais“ in Teehäusern.

Nach der Reparatur schaue ich auf ein Smartphone, das ein Türke mir grinsend entgegenhält. „There are some fountains nearby“, steht auf dem Display geschrieben. “Minxin – willst du dir noch ein paar Geysire ansehen?” rufe ich. „Wenn es kein allzu großer Umweg ist – warum nicht?“, kommt es zurück. Bevor wir uns auf dem Weg machen, werden wir noch in die Polizeistation geführt, wo wir vor einem Wasserhahn stehen bleiben. Erst jetzt begreife ich, dass wir bereits vor den besagten Wasserquellen stehen – eine Ungenauigkeit der Übersetzungs-App. Keine Geysire in der Türkei, aber immerhin die Gelegenheit, meine von der Reparatur dreckigen Hände zu waschen.

Nachdem wir uns verabschiedet haben geht es mit viel Luft im Reifen einen 1.300 Meter hohen Pass hinauf, der höchste während unseres Türkeiaufenthalts. Auf den letzten 80km haben wir somit fast 1.200 Höhenmeter überwunden und sind endlich mal mit Rückenwind geradelt. Mein Herz macht einen Sprung vor Freude ob der kommenden Aufgaben: zunächst das Schwarze Meer, dann der Kaukasus mit Georgien und Aserbaidschan, schließlich das Kaspische Meer und der Iran.

Heute ist aber bereits ein paar km hinter der Passhöhe Schluss, wo die 20.000 Einwohnerstadt Gerede auf uns wartet.

auf dem Weg in die anatolische Bergwelt; hilfsbereite Türken bei Minxins erstem Platten; die Kebab-Bank ist ein Döner-Imbiss; Ankunft in Gerede auf 1300 Meter Höhe

 

2.4. Gerede - Safranbolu

Strecke: 94 km

Min. Höhe: 256 m, Max. Höhe: 1432 m

Höhenmeter: 842 m

„Fahrt nach Safranbolu“, schwärmt der Kellner im Hotel. „Es ist die schönste Stadt der Welt“. Wir haben uns entschieden, die E80, die wichtigste Ost West Verbindung der Türkei zwischen Istanbul und Schwarzmeerküste, zu verlassen, und eine Nebenstraße durch die Berge zu wählen. Legt man die Infos von Google Earth zugrunde, ist dieser Streckenabschnitt zwar anspruchsvoller zu beradeln, dafür landschaftlich umso attraktiver. Safranbolu, eine UNESCO Welterbestadt mit altem osmanischem Stadtkern, liegt ungefähr 90km nördlich von uns auf besagter Nebenstrecke – oder 1.000 Meter unter uns auf 400 Metern Höhe in der mediterranen Klimazone. Das klingt sehr verlockend, denn über Nacht hat es in Gerede geschneit. Also nix mehr mit Kirschblüte. Die Wetterlage pendelt mittlerweile täglich zwischen Winter und Frühsommer, auf unserer Strecke zwischen Istanbul und Samsun erleben wir alle denkbaren Wetterlagen von Sturm über Schnee und Hagel bis Sonnenschein bei Temperaturen zwischen -10 und +25 Grad. Wäre es nicht besser, die Schneeflocken würden sich mal auf den Hildesheimer Weihnachtsmarkt verirren, anstatt uns im April durch die Türkei zu verfolgen?

Auf der Nebenstrecke ist der Verkehr nur noch ein Rinnsal und die Temperatur angenehmer. Zahlreiche Plakate kündigen die UNESCO Welterbe Stadt an. Zuvor müssen wir noch durch die Schwesterstadt Karabük fahren, die 8km südlich von Safranbolu liegt. Zunächst hatten wir überlegt, hier heute Abend Station zu machen und Safranbolu morgen Vormittag mit dem Fahrrad abzuhaken.

Doch Karabük ist keine Touristenstadt, nicht mal eine normale Stadt. Hinter einer Anhöhe ragen Schlote und Schlackehalden empor. Karakbük, die stinkende, qualmende Schwester Safranbolus wurde erst im Jahr 1939 gegründet, als an Ort und Stelle ein Stahlwerk errichtet wurde. Die Stadt steht und fällt bis heute mit ihren Abräumhalden und Hochöfen. Obwohl ich solchen Industriedenkmälern durchaus etwas abgewinnen kann – ich habe schon die Völklinger Hütte und das Stahlwerk in Duisburg besichtigt, ziehen wir es vor, heute in der Dämmerung noch die letzten 8km zum UNESCO – Welterbe Kleinod zurückzulegen. Diese liegt aber 250 Höhenmeter oberhalb von Karabük – nach bereits 90 gefahrenen Kilometern eine Herausforderung. Es ist bereits dunkel, als wir ein kleines, im alt-osmanischen Stil nachgeempfundenes Hotel beziehen.

Mit „Willkommen in Safranbolu, der schönsten Stadt der Welt“ empfängt uns der Mann hinter dem Tresen.

 

weiße Überraschung Anfang April in Gerede; Werbeträger für Pralinen; stinkendes, qualmendes Karabük; anstrengender Schlußspurt (von links oben nach unten rechts)

 

3.4. Safranbolu - Igdir

Strecke: 50 km

Min. Höhe: 254 m, Max. Höhe: 631 m

Höhenmeter: 617 m

Er: „Schatz, wir haben vergessen das GPS Gerät aufzuladen.“ Sie: „Ja, genau, Such dir eine Steckdose“. Er: „Das ganz sicher nicht. Wir müssen deinen Laptop ausstöpseln.“ Sie: „Immer laden wir nur deine Sachen auf. Immer. Gestern hat deine Kamera die ganze Zeit die einzige Steckdose blockiert“ Er: „Ach hör doch auf. Du warst das doch letzte Woche – erinnerst du dich. Die ganze Zeit, hing dein Smartphone an der Steckdose, obwohl es bereits voll war. Reine Verschwendung!“ Sie: „Schnee von gestern. Was zählt ist das hier und jetzt. es. Mein Laptop bleibt schön da, wo es ist und rührt sich nicht von der Stelle“. Er: „Warte nur Wenn es beim Mittagessen wieder nur eine Steckdose gibt, bin ich zuerst dran, das ist sowas von klar.“

Selbst wir wundern uns bisweilen über diese sehr emotional geführten Debatten, die wohl ein Produkt aus unserer Reisetätigkeit und des digitalen Zeitalters – des „always on“, „always connected“ sind. Wir würden uns nicht mal als besonders technikaffine Reiseradler outen, unsere Ausrüstung umfasst im Prinzip nur das, was man so braucht. Wir tragen keine Smartwatches, man kann unsere derzeitige Position höchstens erahnen, da wir kein GPS Tracking in Echtzeit anbieten. Trotzdem frage ich mich, ob Reisen durch die ganzen technischen Erleichterungen in den letzten Jahren nicht auch komplizierter geworden ist. Laptops, Smartphones, GPS, Digitalkameras – alles muss abends ans Netz. Nach einer Nacht im Zelt sind morgens im Café nicht die Anzahl der Brötchen, sondern die der Steckdosen entscheidend. Je mehr, desto besser – der Anblick eines Adapters versetzt uns in Ektase und verursacht einen Run auf alles was noch frei ist – „catch as catch can“ für GPS, Laptops und Smartphone.

Um 10:30 Uhr sind heute alle Geräte soweit aufgeladen, um einen Champions League Abend bzw. eine Nacht im Zelt zu überstehen. Nun liegt kein Schatten mehr über unserer Tagesplanung und wir können die UNESCO Welterbestadt erkunden.

Safranbolu mit seinen osmanischen Bürgerhäusern aus dem 18. Jahrhundert erinnert architektonisch entfernt an deutsches Fachwerk – oder die Südchinesische Stadt Lijiang, die ebenfalls zum UNESCO Welterbe deklariert wurde, um später von den Touristenhorden zu Tode geliebt zu werden. Doch Safranbolu befindet sich an diesem strahlenden Aprilmorgen bis auf eine Busladung Taiwanesen und eine schwedische Familie fest in Hand der Einheimischen, die in den Cafes unbehelligt ihren Tee schlürfen.

Die Menschen sind ausnahmslos freundlich, die Fragen meist dieselben. Seid ihr verheiratet? Habt ihr Kinder? An diese Fragen werden wir uns nach Einschätzung anderer Radreisende in den kommenden Monaten gewöhnen müssen. Die erste können wir noch problemlos parieren: Ja wir sind verheiratet, sagen wir und ziehen den Handschuh von unserer Hand, sodass der Ehering zum Vorschein kommt. Kinder? Nein, erst das eine, dann das andere. „Ihr könnt doch ein  Baby in euren Taschen unterbringen“, erwidert ein deutschsprachiger Rentner und alle müssen lachen. Unsere Routenplanung stößt auf bessere Resonanz. Gut, dass ihr nach Safranbolu gekommen seid, es ist die schönste Stadt der Türkei, sagt man uns in einer Bäckerei. „Nur Türkei? Warum nicht gleich die schönste der Welt?“, entgegnen wir und ernten verdutztes Stirnrunzeln.

Nach Safranbolu geht es durch ein üppiges, grünes Tal in Richtung eines 1200 Meter hohen Gebirgspasses. Gestern haben wir uns aus dem Hochgebirge verabschiedet (1400 Meter) und in Karabük (250 Meter) die Talsohle erreicht. Sonne, schöne Landschaft- kein Gegenwind – heut stimmt einfach alles. Einfach mal durch die Bildergalerie klicken und staunen!

Am Abend finden wir unseren bislang schönsten Zeltplatz ein paar Hundert Meter abseits der Straße in einem Waldstück. Ein Bach trennt uns von den ein paar Hundert Meter entfernten Gebäuden und verschafft uns diesmal einen strategischen Vorteil gegenüber möglichen Eindringlichen, sodass wir unseren Campground „Die Unbesiegbare“ taufen. Dann übermitteln wir unsere Geburtstagsglückwünsche an meine Schwester, schauen die ersten 10 Minuten eines Films an und schlummern dabei ein.

Safranbolu, die schönste Stadt der Türkei; Fahrt durch eine grüne Landschaft (von links oben nach rechts unten)


4.4. Igdir - Kastamonu

Strecke: 81 km (davon 61km mit dem Rad)

Min. Höhe: 515m, Max. Höhe: 1237m

Höhenmeter: 858m (nur Fahrrad)

Das Wetter hat wieder umgeschlagen. Am Morgen laufen dicke Tropfen unsere Zeltwand hinunter. Fahrräder und Gepäck werden separat über den kleinen Bach befördert, der über Nacht von einem kleinen Bächlein zu einem mächtigen Strom angeschwollen ist.

Gegen Mittag erreichen wir das 6.000 Einwohnerstädtchen Arac. Im Dönerrestaurant werden wir wie VIPs begrüßt. Wer weiß, wann sich das letzte Mal Ausländer hierher verirrt haben. Die Sprachgrenze ist und bleibt ein Problem, doch wir können uns mittlerweile mit ein paar Schlüsselwörtern verständlich machen. „Facebook“ zieht immer, denn im Gegensatz zu uns „Ja, ich bin dort, aber ich nutz das doch nicht“ – Deutschen ist offensichtlich die gesamte türkische Bevölkerung dort registriert. „Facebook - always on Smartphone“ sagt ein Teenager und zeigt mir sein Facebook Profil. Wir tauschen Websites und Profile aus, dann ist es an uns, eine Runde Tee zu spendieren. Wir sind inklusive Minxin et moi acht Personen – leider ist mir jedoch gerade die Zahl „acht“ auf Türkisch entfallen, sodass ich zur Überraschung des Kellners kurzerhand neun bestelle. Besonders ärgerlich, wenn man bedenkt, dass ich mittlerweile bis 99 auf Türkisch zählen könnte, wenn da die Zahlen 8, 18, 28 … 98 nicht wären. Welche Konsequenzen resultieren aus meiner fatalen Wissenslücke? Für mich ist als Graf Zahl bereits bei 7 Schluss, und der Restaurantbesitzer muss doppelt ran.

Wir arbeiten uns auf die Paßhöhe hinauf, lassen uns von einem freundlichen Lkw Fahrer die letzten km mitnehmen, bis wir am Abend schließlich die Provinzhauptstadt Kastamonu erreichen.

kostenloses Kebab in Arac; nochmal Wintereinbruch; Ankunft in Kastamonu; minus 10 Grad Mitte April (von links oben nach rechts unten)


5.4. Kastamonu - Bobayat

Strecke: 104 km (davon 9km mit dem Rad)

Min. Höhe: 285m, Max. Höhe: 833m

Kastamonu ist mit 100.000 Einwohnern eine sympathische Stadt von Hildesheimer oder Trierer Ausmaßen. In drei Richtungen wird sie von grünen Hügeln begrenzt, parallel zur baumbestandenen Hauptstraße verläuft ein Kanal mit zahlreichen  Brücken. Südlich davon erstreckt sich die Altstadt mit einer imposanten Festungsanlage. Die Altstadt ist kein UNESCO Welterbe und wirkt nicht so homogen und gut erhalten wie in Safranbolu. Immer wieder mischen sich Neubauten unter die Fachwerkarchitektur, hier und da herrscht dringender Renovierungsbedarf. Trotzdem für Touristen ein echter Geheimtipp, wie wir finden.

Mittlerweile befinden wir uns bereits 16 Tage in der Türkei. Die georgische Grenze ist noch 700km entfernt und auf dem Weg dorthin müssen wir uns noch um unser iranisches Visum kümmern. Nachdem wir seit Istanbul immer per Fahrrad unterwegs waren, überbrücken wir die Strecke ins 100km entfernte Boyabat per Bus. Wir haben dazu gemischte Gefühle. Einerseits sind wir darauf eingestellt und können Schlechtwettertage oder wenig interessante Etappen  als Bus-Tage deklarieren. Aber irgendwie verwässert es auch den Charakter unserer Reise. Als Fahrradtourist möchte man sich natürlich am liebsten mit dem Zweirad fortbewegen.

In Boyabat kommen wir in einem kleinen 25 Euro Hotel mit angeschlossenem Dönerrestaurant unter. Das Essen ist typisch für die Türkei: es gibt nur zwei Gerichte, diese sind aber gewohnt lecker und kosten nicht die Welt. Minxin kann sich seit 2 Wochen zudem endlich mal über Reis freuen, der zwar anders als in China schmeckt, aber im Gegensatz zu Deutschland nicht geschmacksneutral ist. Regelrechte Partystimmung kommt auf, als Xie Qiang das Lokal betritt. Xie Qiang arbeitet zurzeit an einen Staudammprojekt in der Nähe von Boyabat und war als Ingenieur auch schon in Athiopien und Schweden unterwegs. Dementsprechend manifestiert sich sein Weltbild. Schweden reich – no problem, Äthiopien arm - many problems, und Türkei irgendwo dazwischen, etwa so wie China, nur etwas chaotischer – little problems. Obwohl er getrennt von seiner Familie in einem türkischen Provinznest sein Dasein fristet, gefällt es ihm ganz gut hier. Nach nicht einmal 2 Jahren spricht er schon passables Türkisch und erleichtert an diesem Abend erheblich unsere Kommunikation. Das läuft wie folgt ab: Xie Qiang übersetzt das Türkische für Minxin ins Chinesische, diese übersetzt es, falls erforderlich, für mich ins Deutsche. Dann geht die Stille Post von mir über Minxin und Xie Qiang zurück zum türkischen Restaurantpersonal.

Kastamonu; auch hier gibt es eine Festung und Altstadt, allerdings keine Touristen (m.l.); Minxins Visaproblematik zwingt uns zu einer Busfahrt (u.l.)


6.4. Bobayat - Vesirköprü

Strecke: 99km

Min. Höhe: 147m, Max. Höhe: 382m

Höhenmeter: 939m

Schock in der Morgenstunde –ich habe Boyabat versehentlich mit der Nachbarstadt Duragan. verwechselt, die 30km entfernt im Osten entlang unserer Route liegt. Somit summiert sich unsere heutige Tagesetappe von ursprünglich geplanten 70km auf lässige 100km.Von unserem heutigen Zielort Vesirköprü wollen wir morgen Richtung Samsun per Bus weiterfahren.  100km Fahrt durch das Pontische Gebirge – klingt hart, hilft aber nix: ab aufs Fahrrad und los.

Viel gibt es zu diesem Tag nicht zu sagen. Nach einem ausgiebigen Frühstück treten wir heftig in die Pedale, schieben uns anderthalb Stunden später in besagtem Duragan hastig zwei Döner Kebap hinter die Kiemen und radeln dann den Nachmittag am landschaftlich schönen Altinkaya Stausee entlang. Das Wetter spielt mit, doch immer wieder bremsen uns heftige Windböen aus östlicher Richtung aus. Es ist der bislang wärmste Tag unserer Reise, nachdem es vor wenigen Tagen noch geschneit hatte, und zum ersten Mal gehen unsere Wasservorräte zu Neige bevor wir die nächste Tankstelle erreichen.

Am späten Nachmittag noch eine kurze Teepause, bis wir erschöpft,  aber glücklich um 19:00 Uhr die Kreisstadt Vesirköprü erreichen.

unser bisheriger Streckenrekord (99km) führt an einem malerischen Stausee entlang


7.4. Vesirköprü - Samsun

Strecke: 108km (davon 12m mit dem Rad)

Min. Höhe: 12m, Max. Höhe: 880m

Der nächste Tag ist ebenso schnell erzählt. Das Busticket ist schnell gekauft, der Empfang in der Frühstückskantine gegenüber des „Otogars“ gewohnt herzlich, die Fahrt nach Samsung unspektakulär, wenn man von zwei Passhöhen absieht, die nochmal unser ganzes Können abverlangt hätten.

Zwischen dem Busbahnhof und unserem heutigen Gastgeber sind es nochmal 10km Wegstrecke durch dichten Regen und heftigen Berufsverkehr. In Samsun wollen wir eine eintägige Pause einlegen, uns um einige organisatorische Dinge kümmern und unseren Gastgeber wie in Thessaloniki mit chinesischen Essen bekochen.

wieder geht die Rechnung auf den Wirt in Vezirköprü (o.m.); Waschbecken in einer Moschee (u.m.); Yusuf und seine Freunde - die nächsten Couchsurfing-Hosts (u.r.)

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    ss (Sonntag, 12 April 2015 21:41)

    好美的绿野和蓝湖

  • #2

    zhangxiaoling (Montag, 13 April 2015 20:47)

    最喜欢看,晒吃的照片了。尤其是土耳其的面包很大,很炫耀的架势。

  • #3

    Christof (Donnerstag, 16 April 2015 17:12)

    Vielen dank für die spannenden Berichte und die tollen Aufnahmen von Land und Leuten.
    Euch weiterhin eine gute und interessante Reise.
    Liebe Grüße
    Christof