Fern von Wuppertal

Unsere nächste Reiseetappe führt uns quer durch Georgien bis in die Hauptstadt Tbilisi. Wir durchqueren ein Land im Aufbruch, werfen aber auch einen Blick auf die dunkle stalinistische Vergangenheit, sichten Flüchtlingscamps und weitere Eichhörnchensupermärkte und erklimmen einen 2400 Meter hohen Gebirgspass - diesen jedoch nicht mit dem Fahrrad.

btw: wer mir erklären wie ich unsere GPS Strecken in Google Maps einbinden kann, bekommt von mir eine Postkarte aus einem Land seiner Wahl, versprochen :)

24. April: Akhaltsikhe - Surami

Strecke: 90km

min. Höhe: 998m, max. Höhe: 692m

Höhenmeter:522m

Wieder hat es der Schnee fast bis ins Tal geschafft! Und nun wo das Quecksilber am Morgen mit Mühe über den Gefrierpunkt klettert, geht es mit Regen munter weiter. „This is not normal“, stöhnt entnervt die Frau hinter Hotelrezeption. In der Tat, es ist Ende April und wir befinden uns etwa auf der geographischen Höhe von Neapel unweit der türkischen Grenze.

Überhaupt das Wetter! Irgendwann in Meran sagte ich noch zu Minxin: „Wenn wir Glück haben, werden wir nun kein Schnee mehr sehen.“ Seit Anfang März bzw. Mazedonien jagt eine Schlechtwetterfront die nächste, die zwar immer wieder von einigen schönen Tage unterbrochen werden. Doch dann sitzen wir entweder im Hotel und warten auf iranische Visa oder kämpfen mit garstigem Gegenwind (Griechenland). Das bisschen Regen können wir noch ertragen, schließlich tragen wir wasserresistente Kleidung und sind nicht aus Zucker. Was nur nervt, ist die Tatsache, dass die landschaftlichen Höhepunkte Georgiens hinter Nebelbänken versinken. Heute geht es lange Zeit durch einen engen und dicht bewaldeten Canyon, dessen Schönheit wir nur schemenhaft nachvollziehen können.

Auf der Hälfte der Strecke durchqueren wir den altehrwürdigen Sowjetkurort Borjomi mit seinen gigantomanischen und mehrheitlich völlig heruntergekommenen Hotelbunkern aus den 70er Jahren, wo Leonid Breschnew wohl seine Blaupausen für den nächsten 5-Jahresplan entworfen hat. Die heutige Elite bevorzugt eher die disneylandartigen Marmorkitschtorten mit Wellnessarea und eigenen Golfplatz am anderen Ende der Stadt.

Halb erfroren und mit völlig durchnässter (wasserfester!) Kleidung fahren wir um 18:00 Uhr aus dem Canyon hinaus und erreichen die Kreisstadt Chashuri. Hier ereilt uns eine ähnliche Katastrophe, wie wir sie zuvor in Ploce (Kroatien) und Karabük (Türkei) erlebt haben. Chashuri ist zwar keine dreckige Hafenstadt wie Ploce und besitzt auch kein Stahlwerk wie Karabük, aber ebenso wenig eine Unterkunft für Touristen. Wir wollen eine warme Dusche! Jetzt sofort! Man empfiehlt uns, es 7km entfernt in Surami zu versuchen. Dort angekommen, entdecken wir nach einigen Suchen eine wahre Bruchbude mit dem Aufschrift „Hotel“. Drinnen erweist sich die Herberge als zwar etwas angestaubte, aber gemütliche Familienpension. Sogar lauwarmes Wasser und Internet (zwischen Kommode und der Couch am Eingang!) gibt es hier Das Abendessen beziehen wir aus einem winzigem Verkaufsladen gegenüber. Nach „The Icemen“ pennen wir auf der Stelle ein und träumen von Sonnenstrahlen und Frühlingswetter – morgen soll es laut Wetterbericht tatsächlich soweit sein…..

wunderschöne Strecke, mäßiges Wetter (rechts oben); Kontraste in Borjomi (unten)

 

25. April: Surami - Gori

Strecke: 58km

min. Höhe: 601m, max. Höhe: 791m

Höhenmeter: 241m

Es ist der erste Schönwetterradfahrtag seit dem 6. April. Er kommt etwas spät, denn wir haben die landschaftlichen Highlights Georgiens bereits hinter uns gelassen. Dafür entschädigt der Blick auf die etwa 100km nördlich gelegene Bergkette des Kaukasus. Nachdem wir seit Batumi auf ruhigen Nebenstraßen unterwegs waren geht es jetzt auf der stark befahrenen M1 ins 150km entfernte Tbilisi.

Doch Georgien befindet sich im Wandel. Hinter einer unspektakulären Kuppe schneidet ein vierspuriges Asphaltband eine breite Trasse durch die grüne Landschaft.  Für uns ist der Highway mit seinem Seitenstreifen eine Erleichterung. Selbst die persönlichen Begegnungen entlang der Straße bleiben uns erhalten, da geschäftstüchtige Georgier kurzerhand Verkaufsstände entlang der noch nicht fertiggestellten Strecke postiert haben. Eine Frau schenkt uns Brot und eine Flasche Fanta. Bevor wie sie verlassen, erhalten wir einen Segen für einen unfallfreien weiteren Reiseverlauf. Wir holpern über den Schotter, bis wir schließlich die Wanderbaustelle erreichen. Es ist Samstagnachmittag, die Sonne scheint, in Deutschland schaut man gerade Bundesliga oder verzehrt Kaffee und Kuchen. Obwohl die  Baustelle von zwei chinesischen Ingenieuren akribisch überwacht wird, sind die georgischen Straßenarbeiter für einen Plausch zu haben. Mit einen stark nach Parfüm (!) riechenden  Bauarbeiter tausche ich die üblichen Info über das Woher-Wohin, Fußball, Familienstatus, etc aus und erfahre, dass die Strecke in 2017 Batumi mit Tbilisi verbinden soll. Führt man sich den hohen Pkw Bestand und das unterentwickelte, aus der Sowjetzeit stammende Straßennetz Georgiens vor Augen, kann die Autobahn nicht früh genug kommen.

Der Rückenwind schiebt uns auf die letzte Anhöhe und katapultiert uns zum heutigen Ziel Gori, das als Geburtsort Stalins zweifelhafte Berühmtheit erlangt hat. Sieht man von einer Handvoll Neubauten ab, die wie üblich in Georgien in schrillem futuristischen Stil erbaut wurden, präsentiert sich die Stadt auch heute noch als Modellstadt des Kommunismus. Zunächst pflügen wir uns durch ein Betonmeer von Plattenbauten, dann folgen breite Alleen und Zuckerbäckervillen, den Stadtkern markieren großzügige Parkanlagen nebst ebenso gigantischen Plätzen. Stalin sichten wir nicht, sein Denkmal wurde 2010 enthauptet – sehr zum Unwillen einiger Bewohner, die zu dem prominentesten Abkömmling der Stadt unterschiedliche Einstellungen hegen. „Ja, wir sind stolz auf Stalin.“, verlautbart eine Gruppe von jungen Teenagern. „Er hat viel Schlechtes gemacht, aber er war der Führer der gesamten Sowjetunion. Und er stammt ausgerechnet von hier“ ergänzt ein Mädchen. In der Tat ist es kaum vorstellbar, dass einer der größten Mörder der Menschheitsgeschichte in dieser kleinen Stadt seine politische Laufbahn startete. Um mehr darüber zu erfahren, beschließen wir einen Tag Pause einzulegen, um im Stalinmuseum die Segnungen des großen kommunistischen Führers nachvollziehen zu können.

Pannen Premiere für mich nahe Gori (m.o.), das Tankstellenpersonal testet derweil Minxins Fahrrad (r.o.), futuristische Raststätte und renovierte Altstadt in Gori (u.)

 

26. April: in Gori

Erst lecker Cappuccino in der Morgensonne schlürfen und dann ein bisschen Völkermord besichtigen. So gestaltet sich unser Tagesverlauf bis zum frühen Nachmittag.

Zunächst öffnet uns das leicht angegraute Stalinmuseum die Augen: Stalin besichtigt glückliche Kombinate, redet mit glücklichen Arbeiterhelden, besucht glückliche Bauern bei der großen Unkrautschlacht. Selbst mit Russischkenntnissen dürfte man hier wesentliche Hintergrundinformationen vermissen. „Sind Sie Deutscher?“, spricht mich eine Fremdenführerin auf Deutsch an. Ich bejahe und frage sie, was sie von Stalin hält. „Nichts Gutes. Ich arbeite nicht gerne hier. Aber als Fremdenführerin mit Deutschkenntnissen ist es der einzige Job, den ich in Gori bekomme. Die meisten Leute hier halten nichts Stalin, er hat nur der sowjetischen Sache gedient, und Millionen Leute umgebracht, darunter viele Georgier.“ Das hat sich gestern Abend noch anders angehört, denke ich mir. „Das Schlimme ist, dass junge Leute in der Schule nichts über ihn lernen und ihn unreflektiert glorifizieren.“

Goris Sehenswürdigkeiten reduzieren sich aber nicht nur auf Stalin. Wie in Akhaltsikhe überwacht eine trutzige Festung die Stadt, unter ihr duckt sich eine renovierte Altstadt, die mit ihren blitzsauberen Gassen und hellen Fassaden wie eine Filmkulisse wirkt. Am Abend laufen wir zu einem Restaurant, das lokale Spezialitäten serviert. Georgisches Essen galt als „Haute Cuisine“ im Sowjetreich und als ähnlich schmackhaft empfinden auch wir die Speisen. Es geht gut los mit gefüllten Weinblättern und gegrillten Auberginen mit Walnusspaste. Darauf folgen als Hauptgericht Forelle gefüllt mit Pilzragout und Hähnchen in Granatpafelsauce. Zum Dessert listet die Speisekarte weitere Köstlichkeiten wie eine Tüte Chips oder eine Packung Kaugummi.  Georgien ist nicht für seine Süßspeisen bekannt, sieht man mal von „Tschurtschchela, (Würste aus Traubenmus, gefüllt mit gerösteten Walnußkernen) ab, die überall im Lande auf offener Straße angeboten werden.

Im Obergeschoss des Restaurants befindet sich eine Musikbox. Am Anfang ist es noch eine fixe Idee. Ich wähle das Genre „Jazz/Blues“, entdecke den Namen Ray Charles, scrolle durch die Trackliste, bis ich bei „Georgia on my mind“ angelangt bin.

Ruhetag für einen Diktator: das Stalinmuesum in Gori

 

27. April: Gori - Tbilisi

Strecke: 87km

min. Höhe: 415m , max. Höhe: 780m

Höhenmeter: 398m

Die Schönwetterperiode war nur von kurzer Dauer. Während unserer 80km langen Fahrt bis in die Hauptstadt Tbilisi zeigt sich der Himmel bedeckt. Ein paar km hinter Gori radeln wir mehrere km haarscharf an der Grenze Südossetiens entlang. Zur Linken sichten wir eine große Ansammlung von Einfachsthäusern. Es handelt sich um eine Siedlung für südossetische Flüchtlinge, die bereits Daniela und Tobi 2009 entdeckt haben, als sie mit dem Fahrrad in Georgien unterwegs waren.

Hinter der Stadtgrenze von Tbilisi reißt die Wolkendecke auf. Die immerhin 1.4 Millionen Einwohner der georgischen Hauptstadt verteilen sich auf mehrere Hügel, die sich wiederum über 20km entlang des Kura Flusses erstrecken. Ein Fluss, grüne Hügel und eine nicht enden wollende Stadt – Moment, das erinnert doch stark an……..richtig, Wuppertal!

Okay, zugegeben, kein netter Vergleich. Zumal das historische Zentrum mit seinen Alleen und der Architektur aus dem 19. Jahrhundert eher wie eine gelungene Kopie von Paris wirkt. Auf den ersten Blick zumindest. Denn Tbilisi ist, wie wir in den nächsten Tagen lernen werden, mit keinem Ort auf dieser Welt vergleichbar.

Wir kommen in einem hübschen Apartment in der Altstadt unter, die sich irgendwo im Dunstkreis von Gentrifizierung und Abbruchbirne einordnet. Am zentralen Maidan Platz sind die zahlreichen trendigen Kneipen, Restaurants und Bars rund um die Uhr geöffnet. Ein paar Meter abseits befinden sich die Gebäude indes im mehrheitlich schlechten Zustand.

Wir wollen drei Tage hier verbringen und einen davon für einen Ausflug nutzen.

Ankunft in Tbilisi: Mtksheta, die alte georgische Hauptstadt (r.o.), Saarbrücken ist Partnerstadt von Tbilisi (m.u.)

 

28. April - 1. Mai: in Tbilisi (Tiflis)

Tbilisi – eine weitere tolle Stadt auf unserer Reise. Und wieder bleiben wir einen Tag länger als geplant, was allerdings auch dem wechselhaften Wetter geschuldet ist. Die Anfänge der Stadt reichen bis in 6. Jahrhundert zurück, als in Deutschland tote Hose herrschte und die Bevölkerung ein kümmerliches Dasein in rauchigen Katen fristete. Auch Tbilisi Anfänge als oströmische Provinzstadt nahmen sich noch bescheiden aus. Später wechselte sie dann später mehrfach die Besitzer und profitierte von der günstigen strategischen Lage an der Kreuzung mehrerer Handelswege. Marco Polo bezeichnete Tbilisi „als herrliche georgische Stadt mit vielen Festungen und Palästen“. Sieben Jahrhunderte geht es uns genauso. Es ist diese aufwühlende Kombination aus Verfall und Hoffnung, die für Tbilisi und für Georgien allgemein steht. Marco hatte recht: Tbilisi muss eine wunderschöne Stadt gewesen sein. Eine Stadt, die aber auch lange Zeit gelitten und Narben davongetragen hat: mehrere Besatzer, stalinistische Pogrome, in den 90er Jahren eine epische Wirtschaftskrise, mit leeren Ladenregalen und einer Stunde Strom am Tage. Doch es besteht Hoffnung, dass Tbilisi wieder seinen einstigen Ruf als „Paris des Ostens“ zurückgewinnen wird.

In den letzten Jahren hat man mehrere Stararchitekten versammelt, die der Stadt ein neues Gesicht geben sollen. Dies aber behutsam und mit Gespür: ein fluoreszierender Bandwurm als Kunstmuseum, ein gelandetes Spaceshuttle als Fußgängerbrücke. Doch keine austauschbare Skyline, denn die alte Bausubstanz soll unangetastet bleiben. In mehrere sowjetische Verwaltungsgebäude ziehen jetzt internationale Hotelketten ein. Zudem hat man in mühevoller Detailarbeit die historische David-der-Eroberer-Straße renoviert und zur Luxusshoppingmeile herausgeputzt. Betritt man die Hinterhöfe und Seitenstraßen, offenbart sich natürlich ein noch anderes, eher graues Bild. Doch selbst hier künden viele kleine Läden, Cafés und Bars von neuer Geschäftstätigkeit. Ja, auch die weltoffen und eher westlich orientierten Menschen tragen zur Faszination dieser Stadt bei. Zählt man noch üppig bestückte Eichhörnchen Logo – Supermärkte mit WiFi Hotspot und Espresso Lounge hinzu, bekommt man ein ungefähres Bild von dieser Stadt.

 

Daher, sorry nochmals, wegen dem Wuppertal Vergleich ;)

Uff!

Nach einer ausgiebigen Stadterkundung wäre es eigentlich an der Zeit, mal die alte Hauptstadt Mzcheta näher anzusehen. Nachdem aber ein landschaftlich sehr interessanter Abschnitt unserer Georgienroute ins Wasser gefallen ist, entschieden wir uns für „Plan B“, nämlich einen Abstecher in den Kaukasus, um mal ein paar Berge zu sichten. Diese befinden sich etwa 60km nördlich von Tiflis und ragen auf bis über 5000 Meter empor. Doch sogar selbsternannte „Extremradler“ nehmen den 2400 Meter hohen Gebirgspass nicht mit dem Fahrrad in Angriff, sondern steigen auf den Bus als Transportmittel um. Entgegen aller Vorhersagen lässt uns das Wetter mal wieder im Stich, sodass wir nur einen Teil des Gebirgspanoramas zu Gesicht bekommen. Der Weg zu Georgiens Nationaldenkmal, einer vielfotografierten Felsenkirche vor dem mächtigen Kaukasushauptkamm in Gergeti, lohnt natürlich trotzdem.


Am letzten Abend ist es Zeit für etwas ganz Neues: bestand unsere Reise bisher vor allem aus Radfahren, Sightseeing und „Organisatorischem“, verleihen wir ihr mit „Wellness“ eine ganz neue Bedeutung. Unweit von unserem Apartment entfernt befindet sich ein historisches Schwefelheilbad aus dem 18. Jahrhundert. Wir buchen ein eigenes Zimmer für eine Stunde, strecken die Glieder in das 40 Grad warme Wasser – und schalten für eine Stunde ab. Am nächsten Tag soll es weiter gehen, nach Osten, nach Aserbaidschan.

Kasbeghi - ein Wallfahrtsort der Georgier, die Kuppelkirche ein Nationalsymbol; bis auf 2400 Meter geht es an diesem Ausflugstag

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Kommentare: 4
  • #1

    Daniela Schaan (Freitag, 08 Mai 2015 09:17)

    Hallo Florian,

    ich kann es gar nicht abwarten, bis zum nächsten Reisebericht. Du kannst super gut schreiben und es ist sooo interessant. Ich wünsche Euch weiterhin viel Glück auf Eurer Reise.

  • #2

    Zhangxiaoling (Samstag, 09 Mai 2015 05:20)

    妹子,你老公的描述很有作家的风范。最后一段的雪山壁画很震撼。你老公也瘦了好多。

  • #3

    Christof (Samstag, 09 Mai 2015 17:47)

    vielen Dank für die spannenden Berichte, die durch die schönen interessanten Fotos so eindrucksvoll werden.
    Wir wünschen Euch weiterhin eine gute Reise - natürlich auch mit besserem Wetter.
    Liebe Grüße aus München.

  • #4

    Bernhard (Montag, 11 Mai 2015 21:55)

    Hallo Ihr Zwei,
    immer wieder toll, von Euch zu hören und die spannenden Schilderungen zu lesen. Tiflis, die Stadt und die Fotos haben mir besonders gefallen.
    Take care, und sichere weitere Reise!
    Liebe Grüsse
    Bernhard