Ein fotoscheuer Despot

Wir nehmen nach sechs Wochen Abschied aus dem Iran und erleben das Perserreich nochmal in seiner ganzen islamischen Pracht, bevor wir ins schwarze Loch entschwinden. Ursprünglich als lästige „Muss-ja“-Durchgangsstation deklariert, erweist sich Turkmenistan im Nachhinein als interessantes Reiseziel mit vielen Überraschungen. Eine Story von modebewussten Grenzern, verdächtigen Fußballspielern und herrischen Hotelbesitzerinnen. Und was Michael Jackson und Computerspiele aus den 80er Jahren in der turkmenischen Wüste verloren haben, erfahrt ihr am Ende dieser Reiseetappe.

Wir sind also nach Mashhad gekommen, um vielleicht noch einmal ein authentisches Stück Iran auszukosten. Eine Stadt voller religiöser Hardliner und fanatischer Spinner. Anfangs gelingt uns das noch gut. Mashhad ist tatsächlich anders. In den Schaufenstern finden sich nur dunkle und lange Damenklamotten und dieses Angebot spiegelt sich auch in der Kleidung der meisten Frauen wieder. Mashad ist Tschadorzone, mittags wirkt die Stadt im Ramadan wie ausgestorben, nicht mal eine Cola ist aufzutreiben. Unsere Mägen hängen zu den Kniekehlen herab, und so halten wir vor dem besten Hotel der Stadt. Wir betreten eine kühle Komfortoase ausgekleidet mit Plüschsesseln und Perserteppichen. Ich habe bereits im Rahmen diverser Geschäftsreisen in solchen austauschbaren Hotels genächtigt, nach 5 Monaten auf dem Sattel wirkt diese Umgebung aber eher fremd auf uns. Das „International Restaurant“, befindet sich weit entfernt von mahnenden und missbilligenden Blicken in einem fensterlosen Raum. Der Name ist keine Übertreibung, denn neben den üblichen italienischen und indischen Speisen, finden sich auch Gerichte aus Saudi-Arabien und Guinea-Bissau auf der Karte. Wir wählen letztere Optionen, denn wer kann schon behaupten, mal beim Guineer gegessen oder beim Saudi bestellt zu haben?

Wir übernachten natürlich nicht hier, sondern bei M. und C. einem netten Couchsurferpaar, das nicht als solches erkannt werden möchte. Die Polizei in Mashad ist „a bit strange“, warnt mich M. per SMS und so ist M. nach offizieller Lesart, ein Kumpel den ich zufällig auf dem Münchner Weihnachtsmarkt kennengelernt habe. Die Zeit der ausgelassenen Poolpartys ist vorbei, es gab in der Vergangenheit mehrere Razzien und andere unangenehme Situationen in Mashhad. So gehen wir nicht Tanzen, da es „niedere Instinkte“ bei Frauen wecken könnte, sondern begnügen uns mit einem Milkshake in einer Bar, wo C. aushilft. Doch auch so ist das dritte und letzte Couchsurfingabenteuer ein glorioser und würdiger Abgang aus dem Iran. M. vereint drei auf den ersten Blick widersprüchliche Charaktere in einer Person. Zunächst nur ein weiterer höflicher Iraner, entwickelt er nach einer gewissen Auftauphase einen genialen, abgefahrenen Humor, der genau auf meiner Wellenlänge liegt. Sein Lachen endet jedoch, wenn es um politische Themen geht. Auch M. ist nicht gut auf seine Regierung zu sprechen, den Islam hält er für „Quatsch“, da er die persische Kultur verwässert habe. „Wollt ihr denn da wirklich hin?“, lautet seine Frage, als wir zum Hamam, der heiligen Pilgerstätte Mashhads aufbrechen wollen. Und ob wir wollen – bevor es losgeht, bekommt Minxin von C. einen weißen Tschador geliehen, denn das Tragen dieser Kluft  ist innerhalb des Hamams Pflicht.

Couchsurfing im Iran. Gewiß etwas anders als es Herr Orth empfunden mag. M. und C. sind super Gastgeber, halten sich während unseres Besuch aber auffallend zurück

Vergesst den Rest von Mashhad, die Stadt selbst ist nichts Besonderes, doch der Heilige Schrein im Innern des Hamas wiegt das umso mehr auf. Der Hamam ist ein Meisterstück islamischer Architektur, das die Innenstadt Mashhads dominiert. Kein schnöder Gebäudekomplex, sondern eher eine Stadt innerhalb der Stadt. Inmitten abertausender schiitischer Pilgerer entdecken wir keinen anderen „regulären“ Touristen. Fotoapparate sind streng untersagt, doch Schnappschüsse per Smartphone werden in der Regel toleriert. Die Wächter am Eingang zum Heiligen Schrein des Imam Reza drücken ein Auge zu und lassen uns in das Innere des Gebäudes, Minxin und ich selbstverständlich nach Geschlechtern getrennt. Innen nimmt uns ein lichterfüllter Ort, der mit seinen unzähligen Spiegeln eine fast mystische Atmosphäre versprüht. Hier befindet sich der Schrein, wo das Grabmal von Ali ibn Musa ar Rida zu finden ist, dem 8. Schiitischen Imam, der hier im Jahre 818 verstarb.

Trotzdem hält Mashhad nicht das, was es auf den ersten Blick versprochen hat. Es ist kein Hort religiöser Eiferer, im Prinzip ist es außerhalb des Imam Reza Komplex eine für iranische Verhältnisse sehr liberale Stadt, die Menschen begegnen uns ähnlich weltoffen und freundlich wie anderswo im Iran. Also nichts mit dem wahren Iran. Es gibt ihn wahrscheinlich gar nicht.

der Hamam in Mashad in seiner ganzen Pracht. Abemillionen Schiiten pilgern jährlich zum Schrein des Ali Ibn Musa ar Rida. Eine Stadt innerhalb der Stadt.

Das Turkmenistan Visum erweist sich als überwindbare Hürde. Obwohl heute eigentlich nur Geschäftskunden abgefertigt werden und die winzige Luke in der Wand angeblich bereits um 12 Uhr schließen soll, halten wir mittags um 13:15 Uhr ein 5-tägiges Transitvisum in unseren Händen. Gleich nebenan befindet sich das afghanische Konsulat, das von zahlreichen bärtigen Männern umlagert wird. „Wir sind froh, dass die alle hier sind.“, erzählt mir ein englischsprechender Polizist vor dem Konsulat. „Das sind fleißige, bescheidene Menschen, die viele Arbeiten verrichten, die ein Iraner niemals freiwillig übernehmen würde“, Die meisten Afghanen arbeiten im Iran auf dem Bau – oder überwachen Zeltplätze, wie wir bereits festgestellt haben. Wir entdecken jedoch auch bettelnde Straßenkinder und hinkende Frauen in den Straßen Mashhads, zumindest mehr als in Teheran, was wohl auch mit der geographischen Nähe der Stadt zu Afghanistan erklärt werden kann. Just in diesem Moment erreicht mich eine SMS von Pietar aus Belgien. „Super! Mein Afghanistan Visum ist fertig – ich hoffe wir sehen uns dann am Pamir Highway.“ Das hoffe ich auch, Pietar, allerdings aus anderen Gründen. Komm da bitte heil wieder raus. Mit dem Fahrrad den Norden Afghanistans zu durchqueren ist sicherlich kein Spaziergang.

Wir sehen unseren Abschied aus dem Iran mit einem lachenden und wenden Auge. Einerseits ist uns das Land mit seinen Menschen ans Herz gewachsen. Hier in Persien ist uns in 6 Wochen etwas gelungen, was im „heimischen“ Hildesheim zwei Jahre gedauert hat: einen Freundeskreis aufzubauen. Am letzten Tag verabschieden wir uns per Telefon von allen Gastgebern, die uns entlang unserer Route Asyl gewährt haben. Andererseits ist uns nach sechs Wochen im Iran mal wieder nach „Tapetenwechsel“ zumute, und nichts spricht gegen eine Audienz beim Turkmenbaschi, wenn dort noch kühles Bier serviert wird.

Die Welt weiß wenig über diesen entlegenen Wüstenstaat, selbst M. und C. zucken nur desinteressiert mit den Schultern. Kein Iraner, den wir treffen hat Turkmenistan jemals besucht. Wenn überhaupt, gelangt das Land nur aufgrund seiner diktatorischen Regierungsform in die Medien. Nach der Wende übernahm Saparmurad Nijasow das Kommando, verbot alle regimekritischen Zeitungen und Parteien und etablierte einen bizarren Personenkult, der mit der Parole „Ein Volk, ein Land, ein Führer“ stark an einen anderen Diktator erinnerte. Nijasow ließ sich zum Turkmenbaschi, dem „Führer aller Turkmenen auf Lebenszeit“ krönen, benannte die Wochentage und Monate nach seinen Familienmitgliedern um und strich die Sozialausgaben zusammen, denn das Aufstellen tausender Goldstatuen SEINER Person bezahlt sich schließlich nicht von alleine. Doch auch sonst hatte der Führer so einiges auf dem Kasten. Sein Konterfei zierte selbst Zigarettenpackungen, und wer Zigarettenqualm nicht mochte, der griff halt zum Turkmenbaschi-Parfüm oder las, staatlich verordnet, die Rumana, die Heilige Schrift des Führers. Sein Tod im Jahre 2006 verhinderte gerade noch rechtzeitig das Schließen fast sämtlicher Krankenhäuser im Lande und obwohl sein Nachfolger, ein Mann mit dem unaussprechlichen Namen Berdimuhammedov kaum besser ist, dürfen die Untertanen nun im Auto wieder Musik hören oder die Oper besuchen. Und auf den Montag folgt nun kein Turkmenbaschi mehr, sondern ein Dienstag. Doch noch immer ist es allein der Existenz Nordkoreas zu verdanken, dass Turkmenistan im weltweiten Pressefreiheit-Ranking nicht den letzten Platz belegt. Turkmenistan ist und bleibt bis heute eine Despotie, die mit eiserner Faust regiert wird.

Abschied aus Mashad (o.l.); Blick von der Paßhöhe (u.r.)

Die restlichen 200km bis an die Grenze beginnen unspektakulär. Wir starten wegen diverser Erledigungen erst am frühen Nachmittag aus Mashhad und spulen am ersten Tag lediglich 60km herunter. Da unser Turkmenistan Visum bereits am übernächsten Tag startet, müssen wir also am letzten Irantag ca. 140km mit dem Fahrrad zurücklegen. Obwohl Kollege Gegenwind uns vereinbarungsgemäß weiter durch Asien begleitet, schaffen wir die bislang längste Tagesetappe relativ problemlos. 136km stehen schließlich auf meinem GPS Gerät, als wir gegen Einbruch der Dunkelheit die Grenzstadt Sarakhs erreichen.

die letzten 136km Iran: eine Paßhöhe (o.l.), neugierige Kinder (o.m.); Truckstop für eine Flasche Wasser (m.m.); letzte Stadt vor der Grenze (m.r.); nächtliches Domizil (u.r.)

Es fließen sogar Tränen, während wir die langwierige Grenzprozedur über uns ergehen lassen. Sechs Wochen iranische Gastfreundschaft hinterlassen ihre Spuren. Dann geht es über eine staubige Straße nach Turkmenistan, dem Tor Zentralasiens. Neben uns eine endlose Lkw – Kolonne, fast ausschließlich iranische Kennzeichen, darunter mischen sich auch einige türkische, von turkmenischen jedoch keine Spur. Das potenziert nur unsere Neugier. Was erwartet uns in diesem abgeriegelten Wüstenstaat?

 

 TURKMENISTAN

Zunächst eine ausgiebige Grenzkontrolle. Unser Gepäck wird vom Fahrrad auf ein Laufband geladen.

„You have LSD, Cocaine, Marihuana with you? “

“Nein. Sie?”

“Sorry, English, please.”

“No, of course not”

“Ok”

Die knappe Antwort scheint den Beamten zu beruhigen.

Wir werden in einen separaten Raum geführt. Jetzt steht der Gesundheitstest an.

„Open your mouth and say Aaaah“. Minxin tut wie geheißen, bleibt aber stumm.

„Ebola?“

„No.“

Unser Reisepass braucht einen Stempel. Das bedingt allerdings weitere, zum Teil unangenehme Fragen.

„Where do you come from? “

“Hannover”

“Krasnojarsk. Ah, from Russia?”

No, Hildesheim.”

“Hindustan?”

“NO! Hildesheim, GERMANY“

„Sorry, what?“

Silbenfetzen hängen in der Luft

 „GER-MA-NY.“

„Ah, Germany, Welcome to Turkmenistan!”

Der Kontrolleur macht es sich in seinem Sessel gemütlich und begutachtet meinen Reisepass.

„Please shave“

„Sorry…what?“

„Shave your beard.“

Der Mann, ein jovialer Mittvierziger, schaut mich erwartungsfreudig an.

Minxin ist entsetzt. „Du kannst doch aussehen wie du willst. Das ist ein Eingriff in die Privatsphäre.“

Ich kann den Grenzbeamten mit einfachen und klaren englischen Worten davon überzeugen, dass ich meinen Bart behalten möchte und eigentlich auch keinen Styleberater brauche. Das ist noch nicht mal wahr, ich bin seit Istanbul einfach nur zu faul mich zu rasieren. Spätestens in Usbekistan ist die Mähne ab.

Nachdem unsere Herkunft und Identität geklärt worden ist, durchkämmt der eifrige Assistent in Armeeuniform unsere Fahrradtaschen. Er spricht Minxin auf Chinesisch an. Tatsächlich beherrscht er sehr gutes Chinesisch. Er hat drei Jahre in Beijing studiert und empfiehlt uns ein gutes chinesisches Restaurant in der Hauptstadt Aschgabat. Ja, dort würden wir gerne hinfahren. Ist aber verboten. Für einen Abstecher nach Aschgabat brauchen wir ein Touristenvisum, was wiederum das Buchen einer Gruppenreise erfordert. „You are no tourists, just transits“, fügt entschuldigend der Grenzbeamte hinzu. „Sorry. That’s the rule in Turkmenistan. Hope you have a nice trip“. Auch im autokratisch regierten Turkmenistan, laut einem Artikel bei Spiegel Online, der graueste Ort der Welt, gibt es viele nette Menschen. Man darf niemals die Leute eines Landes seinem Regime gleichsetzen. Eine Regel, die wir bereits im Iran gelernt haben und die auch für die nächsten fünf Tage gelten wird.

Ankunft bei den Turkmenen: Lkw Schlange an der Grenze; das Land stellt sich vor: weißgetünchte Paläste zum Wohl des Präsidenten; Landkarte mit Provinzen (v.l.n.r.)

Ab jetzt keine Kopftuchpflicht mehr. Viele Reisende freuen sich nach der wochenlangen Tschadordiät im Iran über die farbenprächtige, körperbetonte Kleidung der turkmenischen Frauen. Wir entdecken hinter der Grenze lediglich einige unmotivierte, kettenrauchende Männer, die sich hinter zwei ausgeleierten Lada Taxis vor der Mittagssonne verstecken. Danach: Leere. Turkmenistan, das schwarze Loch Zentralasiens verschluckt uns wenige km hinter der Grenze. Endlos dehnt sich das Asphaltband Richtung Norden – von Frauen und anderen menschlichen Individuen keine Spur. Ich radle fernen Verkehrsschildern entgegen. In Ermangelung landschaftlicher Abwechslung rechne ich die Distanz zu den völlig überflüssigen Geschwindigkeitsbegrenzungen aus. Wenn sich das Schild schätzungsweise 800m vor uns befindet wann werden wir es wohl erreicht haben? Und welche Durchschnittsgeschwindigkeit schaffen wir bis dorthin? Die Wüste und ihre Belanglosigkeit zu animiert zu mathematischen Höchstleistungen.

Die einzigen Reliefunterschiede in der ansonsten konturenlosen Landschaft resultieren aus Schlaglöchern und – merkwürdigen Aufwölbungen im Asphalt. Turkmenistan ist kein armes Land, es exportiert Erdöl und Erdgas. Doch wo geht das Geld hin? „Palaces for the President, Potholes to he People“, frei nach John Lennon und Kalle Marx, scheint die inoffizielle Parole für alle Turkmenen zu lauten. Selbst die Hauptmagistralen zwischen den großen Städten befinden sich nicht immer in einwandfreiem Zustand, die sogenannten „Secondary Roads“ sind erbarmungswürdige Schlaglochtortouren. Also nochmal: wo gehen die ganzen Petrodollar hin? Nach Aschgabat, zu den Palästen, in die Hauptstadt. Dürfen wir aber nicht sehen. Wie bereits gesagt: verboten.

Doch auch so, oder gerade deshalb ist Turkmenistan ein Staat, der in Listen wie „wenig besuchte Länder“ oder „Destinationen abseits der ausgetretenen Pfade“  Spitzenpositionen einnehmen dürfte. Wer nicht die lange Reise auf sich nehmen will, kann Turkmenistan problemlos zuhause nachbauen. Man nehme einen Sandkasten, kaufe ein paar Soldaten plus grüne Fähnchen aus dem Spielzeughandel für die zahlreichen Polizeikontrollen, ergänze diese durch Barbies Schloss für die Prachtbauten in Aschgabat und lege etwas Grünzeug  in die Mitte. In stalinistischer Zeit wurden dem Aralsee große Wassermengen für die künstliche Bewässerung riesiger Anbauflächen für Baumwolle in Usbekistan und Turkmenistan entnommen. Ehedem wüstenhafte Regionen in Turkmenistan sind nun fruchtbar und erlauben Landwirtschaft, wohingegen der Aralsee, einst viertgrößter See der Welt,  fast ausgetrocknet ist und die Existenzgrundlage von Hunderttausenden Menschen zerstört hat.

Trotz möglicher Sandkasten-Nachbauten ist Turkmenistan nicht mal ein kleines Land. Es ist nur etwas kleiner als Spanien. 5 Millionen Menschen verlieren sich in der Einöde der Karakulwüste, die 90% des Landes einnimmt. Nur im Süden und im äußersten Osten erheben sich einige Gebirgsketten. Im Osten gibt es Gaskrater unweit de Kaspischen Meeres. Ist bestimmt interessant. Aber verboten, für Transits wie uns.

 „Passport, Registration!“, ruft uns ein Polizist nach 30km entgegen. Der überdimensionierte Hut des Kommissars scheint aus dem Sowjet-‚Archivar zu stammen, lediglich den Sowjetstern hat man gegen das turkmenische Staatswappen ausgetauscht. Es sind die ersten Menschen, denen wir seit der Grenze begegnen. Endlich Abwechslung, und auch sonst keine Probleme. Wir dürfen weiter, auch ohne Registrierung, diese benötigen nur Inhaber eines Touristenvisums, und wir sind ja bekanntlich Transits.

Pause im Schwarzen Loch. Minxins Vorderreifen hat nicht genügend Luft. Wir pumpen ihn auf. Jetzt ist mein Hinterrad dran. Ich führe die Luftpumpe an das Ventil und  vernehme ein merkwürdiges Geräusch. Mein Reifen lässt Luft, ich pumpe schneller, doch nichts passiert. Die Luftpumpe ist defekt. Sofort bemerken wir unseren naiven, nicht zu entschuldigenden Fehler. Top ausgerüstet und allen Gefahren trotzend – so dachten wir zumindest- sind wir in unsere Reise gestartet, doch mit einer kaputten Luftpumpe und einem fast platten Reifen können wir nicht weiterfahren. Ein einsames Paar, verraten und betrogen von der Luftpumpe. Verlassen und allein in der turkmenischen Wüste.

Wir fahren zurück zur Polizeistation mit fast plattem Reifen und entdecken dort einen kleinen Shop. Der Kommissar mit extra großen Hut ist so nett und lässt ein Taxi rufen. Mit diesem geht es für sündhaft teure 40 Euro ins 160km entfernte Mary. Unser Fahrer raucht Kette und grinst mehrfach ob des katastrophalen Straßenzustands. An einer winzigen Holzbrücke bleibt er kichernd stehen und fordert mich auf, ein Foto zu machen. „Nichts funktioniert in Turkmenistan. Eine Katastrophe“, erklärt er uns in einfachem Russisch. Hören wir da leichte Kritik am unfehlbaren Präsidenten heraus?

Ich nicke für ein paar Minuten ein, und als ich die Augen öffne hat sich die Gegend schlagartig verändert. Statt der trockenen Wüstensteppe breiten sich nun saftige Auen und endlose Felder bis zum Horizont aus. Wir haben den Amur-Dar Kanal überquert. Vor Mary weitet sich die Straße zur dreispurigen Autobahn. Der mittlere Streifen ist für beide Fahrtrichtungen reserviert – klingt gefährlich, scheint aber zu funktionieren.

Mary. Blick aus dem Hotelfenster zum Pool (l.o.), Marmorbauten mit Goldornamenten: hier fließen die Petrodollar hin (o.m., u.r.), Bunter Basar (restliche Bilder)

Mary: eine Stadt von 180.000 Menschen - kahl, leer und weiß mit breiten Boulevards.

Das Stadtzentrum Marys dominieren glänzend weiße Marmorfassaden mit goldenem Ornament. Aschgabat en miniature, ein Abbild des Größenwahnsinns der goldenen Ära des Turkmenbaschi. Sicherlich interessante Fotomotive. Ist aber verboten, sind ja Regierungsgebäude. Ein paar Bilder gelingen mir dann doch, siehe oben.

In Ermangelung passender Unterkünfte übernachten wir in einem überraschend guten Hotel, das sogar mit Pool und Beauty Salon aufwartet. Das Abendessen verbringen wir mit den einzigen wahrnehmbaren Hotelgästen, einem italienischen Ehepaar, das sich ohne Englischkenntnissen in einem Hyundai SUV durch Asien durchschlägt. Zum Entsetzen des Paares bestelle ich Pasta Alfredo und werde für meinen Leichtsinn prompt bestraft. Ein Portion Nudeln mit Dosenwurst und Erbsen. Selber schuld, wer so etwas bestellt. Dann lieber die russischen Pelmeni, für die sich Minxin entschieden hat

Der nächste Tag ist voll positiver Überraschungen. In der Tat: Turkmenistan wandelt sich urplötzlich zu einer spannenden  Reiseetappe. Die Luftpumpe ist auf dem farbenfrohen Basar schnell gekauft. „Made in Japan: Good!“, versichert mir der Verkäufer. Wir  greifen zu und kaufen in weiser Voraussicht diesmal gleich zwei.

Auf dem Basar sind sie endlich zu sehen, die Frauen in bunter Kleidung und Männer mit riesigen, schwarzen Wollmützen. Immer öfters entdecken wir auch asiatische Gesichtszüge, und zum ersten Mal seit dem wir Hildesheim verlassen haben, fällt Minxin inmitten einer Menschenmenge nicht mehr großartig auf. Lediglich ab und an blitzen zwischen den bunten Gewändern blonde Haare auf, die man russischstämmigen Turkmenen zuordnen kann.

In einem Handyshop hole ich mir eine turkmenische SIM Karte. Mein Reisepass wird ausgiebig begutachtet, das Wechseln der SIM Karte ist aber eine Sache von nur wenigen Minuten und das 3G-Internet überraschend schnell. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass das World Wide Web für das turkmenische Fußvolk bis vor wenigen Jahren unerreichbar war. Ein Reiseführer von 2006 verweist auf zwei 5-Sternehotels in Aschgabat, außerhalb davon war Internet „virtually non-existent.“ Ein guter Zeitpunkt also, mal unseren Facebook Account zu checken. Seit Aserbaidschan ist bestimmt eine Menge passiert. Geht aber nicht. Ist verboten. Wie im Iran. Und wie auch Youtube.

im "Kurort" Bayramaly (o.l.); schmackhaftes Abendessen nach anstrengendem Radeltag: Pelmeni-Teigtaschen, Laghman-Nudelsuppe, Lüle-Hackfleisch-Kebab (u.l.)

Wir verlassen die fruchtbare Ebene um Mary und erreichen den Rand der Karakulwüste. Zuvor decken wir uns mit Wasservorräten in einem kleinen Verkaufsladen ein und speisen in einem einfachen Straßenrestaurant. Für Turkmenistan galt lediglich die Devise „Hauptsache sattwerden“, doch das Schaschlik und die Laghman Nudeln erweisen sich als ausgesprochen lecker und sind nach dem eher eintönigen „Rice and Chicken“ – Einerlei im Iran eine willkommene Abwechslung. Noch so eine Überraschung.

Die weiten Felder weichen zurück und geben der Karakul Raum. Das Gras steht auf den Dünen wie  schütteres Haar auf einer Glatze. Nichts stört und nach längerer Zeit spüren wir wieder das Gefühl der Freiheit. Vom Sattel unserer Fahrräder erobern wir Zentralasien. Wir zelten in den Sanddünen unter einem sternenklaren Himmel.

Mittagspause in einem kleinen Dorf in der Karakul Wüste (u.m.), die beiden Jungs versorgten uns mit eiskalter Cola (u.r.)

Gutgelaunt starten wir in eine besonders heiße und lange Tagesetappe. 510km müssen wir durch Turkmenistan zurücklegen, 200km liegen noch vor uns. Drei Tage stehen uns  dafür zur Verfügung. Schnell durch, kein Blick nach links und rechts, scheint die Maxime der turkmenischen Behörden zu lauten.

„Beat it“ von Michael Jackson fegt durch meine Gehirnwindungen. Keine Ahnung, wie es dazu kam. Ich war nie ein großer Fan von Michael Jackson, doch dieses Lied, besonders das geniale Gitarrensolo, ist einfach der Hammer und treibt mich unermüdlich nach Norden über eine schnurgerade Teerpiste, umsäumt von Sanddünen. Wir halten an einer gottverlassenen Siedlung und glauben das Ende der Welt erreicht zu haben. Nach kurzem Abtasten lädt uns eine Frau auf ein Tee zu sich nach Hause ein. Sofort ist der Rest der Familie versammelt. Wir flüchten vor der heißen Mittagssonne unter einen Baum. Die beiden Söhne führen uns den Stolz der Familie, einen Laptop vor. Neben dem Kuhstall rostet ein Opel aus der Nachkriegszeit vor sich hin. Die Kommunikation erfolgt rudimentär auf Russisch, immerhin können wir die wichtigsten Informationen austauschen. Am Ende wird noch ein vor Fett triefender Schafskopf aufgetischt, wir absolvieren aus Höflichkeit eine Probeportion und radeln ins schwarze Loch davon, mit dem guten Gefühl ein authentisches Stück Turkmenistan gesehen zu haben. Die Landschaft bleibt bis Turkmenabat stets gleich und erinnert an Zac Mc Cracken, einem legendären Computerspiel aus den 80er Jahren, wo der Spieler etwa eine Stunde durch gleichförmige Räume in einer Mondstation laufen musste. Hinter jeder Kuppe dasselbe Einerlei aus Sanddünen und Gräsern.

Die gute Laune kippt ein bisschen, denn im einzigen Straßencafé weit und breit finden wir keinen Unterschlupf und sehen uns gezwungen, durch die Nacht bis nach Turkmenabat weiter zu fahren. Denn selbst jetzt um 10 Uhr abends verharrt das Quecksilber noch bei 38 Grad und verwandelt unser Zelt in eine Sauna.

In den frühen Morgenstunden erreichen wir völlig ausgepowert und übermüdet die zweitgrößte Stadt Turkmenistans. Zu allem Überfluss besitzt Turkmenabat peissenbergsche Dimensionen, sodass wir einen 20km langen Bandwurm, bestehend aus weißangestrichenen Plattenbauten herunterradeln müssen, bis wir endlich das Stadtzentrum erreicht haben.

Jurtenrestaurant mit angschlossenen Hotel im Nichts der Karakolwüste (oben), Ankunft in Turkmenabat um 3 Uhr nachts (u.r.)

Ein brandneuer BMW hält neben uns. Der Fahrer möchte uns zu den einzigen beiden Hotels der Stadt begleiten, die sich sechs km nördlich befinden. Turkmenen sind nette Menschen – dieser fremde Mensch in seinem BMW hat nachts um Drei sicherlich besseres zu tun, als zwei verwirrte Fahrradfahrer eine halbe Stunde durch seine menschenleere Stadt zu eskortieren. Nach einer endlosen Odyssee halten wir an einem unscheinbaren Gebäude mit der Aufschrift Hotel. Die Verabschiedung verläuft typisch turkmenisch. Ein scheues Lächeln huscht über das Gesicht des Fahrers, ich erwidere es mit einem Russischen Danke, der Fahrer sagt „Bitte“, nickt mit dem Kopf  und fährt davon. Im Ferienparadies Turkmenistan ist das erste Hotel selbstredend ausgebucht (eine Volleyballmannschaft hat sämtliche Zimmer okkupiert), sodass wir mit der heruntergekommenen Sowjet Absteige nebenan vorlieb nehmen müssen. Egal, Hauptsache, Bett, Dusche und Kakerlake. Es ist 5:30 Uhr, und längst zwitschern die Vögel auf den Bäumen, als es an der Tür klopft. Die Rezeptionistin möchte Geld sehen. Minxin wird wütend und verweist auf ihr Recht auf Nachtruhe. Die Augen der Rezeptionistin füllen sich mit Tränen. „Boss“, stammelt sie Furchterregt und deutet mit einer Handbewegung ein Halsaufschlitzen an. Wenn der besagte „Boss“ nicht sofort unser Geld sieht, bedeutet das einen Riesenärger für die Rezeptionistin. „Zavtra“ – morgen, murmeln wir ratlos und schließen die Tür. Kaum sind wir eingenickt, vernehmen wir wieder ein Klopfen an der Tür. Diesmal hat die Rezeptionistin weibliche Verstärkung mitgebracht. Wir blicken in drei angsterfüllte Augenpaare. „Please. Money. For boss! “

 Jetzt reicht es. „Where is your boss?“ schreit Minxin. “Let’s go and see your boss.“ Der Vorschlag zeigt nicht die erhoffte Wirkung, im Gegenteil, die entsetzten Augenpaare weiten sich nur noch. „No! Boss sleep!“ Entgegen aller Warnungen zwängen wir uns an den drei Damen vorbei ,marschieren wütend durch den endlosen Korridor, stampfen die ausgetretene Holztreppe hinunter, bis wir schließlich an einem Zimmer stehen bleiben, aus dem Musik tönt. „No! No! Boss bad!“, flehen die drei Damen uns an, als wollten sie uns vor dem sicheren Tod bewahren.

Wir stehen im Türrahmen und sichten eine adipöse, bebrillte Frau mit schwarzgrau-mellierten Haar. „Schto?“ – „Was gibt’s?“ raunzt uns der weibliche Boss entgegen. Minxin nimmt ein Bündel Banknoten, knallt es auf den Tisch und hält eine Standpauke im für die Adressatin unverständlichen Englisch. „Behandle deine Mitarbeiter besser! Lass uns pennen! Geh uns nicht auf die Nerven! Und TSCHÜSS!!!“

Danach finden wir tatsächlich unsere Ruhe. Es ist 6:30 Uhr als wir schließlich einnicken, Michael Jackson habe ich schon längst aus meinem Gedächtnis verbannt, zumal „Beat it“ noch nicht mal der Wahrheit entspricht. Wir haben heute nur 132km mit dem Fahrrad zurückgelegt, und somit unseren bisherigen Rekord vom letzten Irantag nicht übertroffen.

Telekomgebäude in Turkmenabat (l.), Surfen im Intecafe unter Präsidentenportraits, erst seit wenigen Jahren steht das World Wide Web den Turkmenen (z.T.) offen (m.)

Den freiwillig- unfreiwillig entstandenen Ruhetag verbringen wir mit der Suche nach Postkarten. Es ist auffallend sauber und ruhig in Turkmenabat. Wie in einem absurden Theaterstück befreien vermummte Straßenkehrer die leeren Boulevards vom feinsten Staubkorn. Auf dem Basar raunen uns einige Verkäufer ein leises „Welcome“ zu. Niemand redet laut, nur selten vernehmen wir ein Lachen. Das turkmenische Volk wirkt eingeschüchtert, ja regelrecht depressiv auf uns. Wir betreten ein Restaurant, an dessen Wand sich wie üblich Portraits des Präsidenten befinden. Ich stelle mich etwas provokativ vor das Konterfei und betrachte es einige Sekunden lang. Als ich mich zu der Kellnerin umdrehe, registriere ich, wie die Angst aus ihrem Gesicht weicht und Erleichterung Platz macht. Gottseidank hat der Tourist kein Foto gemacht oder gar einen Fettfleck verursacht. Zumindest nichts, was man der Polizei melden müsste.

Basar in Turkmenabat (l.), schüchterne Rezeptionsdamen in einem Hotel aus der Sowjetära (m.)

Erst am Abend, wenn die Hitze nachlässt, füllen sich die Straßen mit etwas Leben. Kinder baden in einem Seitenarm des Amu Darja, junge Männer laden mich auf ein Fußballspiel ein. Ich holze zwei Spieler um, produziere ein Eigentor und werde wegen Gemeingefährlichkeit von Minxin ausgewechselt, die unterdessen von einer Fotosafari zurückkehrt. Eine halbe Stunde später sitzen wir in einem Jurtenrestaurant und warten auf unser russisches Essen. Ich nippe an einem süffigen, leicht metallisch schmeckenden turkmenischem Bier, als sich die Tür der Jurte öffnet. Herein kommt nicht etwa ein Kellner, sondern ein großgewachsener Polizist, diesmal mit besonders großen Hut und furchtbar vielen Abzeichen und Sternen.

Er spricht Englisch und wird von einem Assistenten unterstützt.

„Wart ihr heute Abend an der Nijasow-Straße?

„Keine Ahnung wo die ist.“

Der Polizist blickt mich an.

„Hast du heute Abend Fußball gespielt?“

„Ja – aber so schlecht war ich doch nicht.“

„Zeig mir deine Kamera.“

Ich greife in meine Tasche, verstecke die Fotokamera unter dem Brillenetui und reiche dem Beamten das Smartphone. Hierauf befinden sich eher belanglose Aufnahmen. Das Timing stimmt, denn der Kommissar erhält gerade einen Anruf und gibt das Smartphone dem Assistenten.

Etwas nervös beginne ich meinen Reisevortrag. „Das ist der Harz, hier haben wir eine Wanderung zum Brocken gemacht. Das hier ist Hannover – der Maschsee, die Altstadt….“ Interessiert betrachtet der Assistent die Fotos aus dem fernen Deutschland. Der Kommissar beendet das Telefonat und tauscht etwas Info mit dem Assistenten aus. „Foto njet problem“, versichert dieser. Der Kommissar nickt erleichtert, entschuldigt sich und wünscht uns einen schönen Abend. Zehn Minuten später, gerade haben wir das Gesprächsthema gewechselt, öffnet sich die Jurtentür erneut. Unser Stargast ist zurück, diesmal ohne Assistent.

„Show me your photos from Smartphone.”

Ich versuche es mit einem weiteren Vortrag über meine südniedersächsische Heimat. Am Hildesheimer Marktplatz wird es dem Beamten zuviel.

„Turkmenistan photos, only, please“

Ich scrolle nach unten bis das letzte Foto aus dem Iran erreicht ist.

„Did you take picture from president when playing football?”

Ich verneine. Der Kommissar nimmt das Smartphone – er kennt sich offensichtlich mit I-Phones und Touchscreens bestens aus. Nach wenigen Sekunden bleibt er an einem Portrait des Präsidenten hängen. Während ich Fußball gespielt habe, hat Minxin, eines dieser allgegenwärtigen Präsidenten-Konterfeis fotografiert. Das ist eine prima Idee von ihr, aber – stimmt, habe ich schon lange nicht mehr gschrieben – verboten.

„Please delete Turkmenistan picture.“

Ich nehme das Smartphone und lösche das Foto des Präsidenten.

„Every Turkmenistan Picture“, beharrt der Kommissar.

Ich greife zum Smartphone, markiere alle Fotos, bis ich bei der iranischen Grenze angelangt bin und drücke auf „84 Fotos löschen“. Misstrauisch mustert der Kommissar meine Fotosammlung. Die letzten verbliebenen Bilder zeigen den Hamam in Mashhad. Das Gesicht des Kommissars entspannt sich. Alles ok.

Nun können wir in Ruhe essen. Zum Glück habe ich die meisten Turkmenistan Photos vorsorglich in der ICloud abgespeichert. Trotzdem fühlen wir uns ab diesem Zeitpunkt nicht mehr sehr wohl in diesem Land. Turkmenistan war eine interessante Erfahrung, doch ebenso erleichtert registrieren wir, dass der heutige vierte Abend gleichzeitig auch der Letzte sein wird.

Ich lade alle Turkmenistan-Fotos auf meinen Laptop, kreiere einen Ordner „Finland“ mit einem namenlosen Unterordner, kopiere die Turkmenistan Fotos in besagten Unterordner und transferiere einige unverfänglich wirkende Fotos aus unserem letzten Skandinavien Urlaub in den übergeordneten Finland Ordner. Dann klopft es an der Tür. Wir zucken instinktiv zusammen. Doch es ist nur die Rezeptionistin, die uns unsere Reisepässe zurückgeben möchte. Wir atmen auf.

Die Straße an die eigentlich nahe usbekische Grenze windet sich unentschlossen in alle Himmelsrichtungen. Offenbar möchte uns Turkmenistan doch lieber hier behalten. Als wir die letzten Häuser Turkmenabats passieren, taucht ein ganzer Schwung Männer aus dem Nichts auf und beschenkt uns mit mehreren Liter Wasser, Softdrinks und Tee. Sehr nett und praktisch, wir begannen uns schon um unsere Wasservorräte zu sorgen.

Amu Darja Kanal - ein breiter, träger Strom nördlich von Turkmenabat (o.m., o.r.)

Wir passieren den Amu-Darja, der sich breit und schokobraun durch die grüne Ebene wälzt, als wäre es ein stolzer Tropenstrom. Etwas später als geplant erreichen wir den usbekischen Grenzübergang und lassen eine nicht minder aufwendige Ausreiseprozedur über uns ergehen. Diese verläuft immerhin ohne Komplikationen, lediglich das Fahrradreparaturbuch scheint den jungen Grenzbeamten zu faszinieren. Verstecken sich zwischen Felge zentrieren und Speichenwechsel eventuell doch Anregungen für den Bau einer Bombe?

 

USBEKISTAN

Um 19:00 ist es schließlich geschafft. Wir befinden uns in Usbekistan und lassen Turkmenistan hinter uns. Es war ohne Zweifel unser bislang bizarrstes Reiseland, und es wird in nahe Zukunft sicherlich nicht zum klassischen Urlaubsziel avancieren. Doch trotz einiger Komplikationen gerade am Ende sehen wir es als eine Erfahrung, die wir nicht missen möchten.

Usbekistan ist anders. Das erkennt man auf den ersten Blick. Aus den Häusern entlang der Straße tönt am Abend Gelächter, eine betrunkene Horde von Männern heißt uns lautstark willkommen. Ein besonders betrunkener Repräsentant des Sauftrupps tankt mich mit einem russischen Baltika Bier auf und schenkt uns eine Flasche Wasser. Dienstagabend in der Partyzone Usbekistan.

Bei heranbrechender Dunkelheit passieren wir eine neu errichtete Reihenhaussiedlung. So etwas hatten wir in Turkmenistan nicht gesehen. Dort wird zwar auch fleißig gebaut, jedoch fast ausschließlich zum Wohl des Präsidenten. Die Untertanen müssen sich mit einem Eimer weißer Farbe für ihre Plattenbauten begnügen.

Die erste Nacht in Usbekistan verbringen wir in einer provisorisch hergerichteten Unterkunft unter einem Billardtisch. Der letzte Fahrtag nach Buchara ist eine reine Zumutung, wieder Gegenwind mit Stärke 5-6 und das bei 47 Grad Hitze. Entsprechend erleichtert erreichen wir mit zweistündiger Verspätung Buchara, eine alte Stadt an der Seidenstraße. Hier möchten wir ein paar Tage pausieren und dem Sightseeing frönen.

Schlafen unter dem Billardtisch - unsere erste Unterkunft in Usbekistan; Schwitzen und Leiden auf dem Weg nach Buchara (m.)

Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    Christof (Samstag, 18 Juli 2015)

    Die Reisebeschreibung und die Bilder von Hildesheim bis Usbekistan entsprechen bereits drei hochinteressanten Weltreisen, um die wir Euch nur beneiden können. Ich bin gespannt wie das weitergeht. Passt gut auf Euch auf und viel Glück.
    Christof

  • #2

    Bernhard (Sonntag, 19 Juli 2015 23:56)

    Ich kann mich dem Christof nur anschliessen: spannend, super interessant und erstklassig beschrieben. Eure Erlebnisse sind einfach faszinierend. Hi-Leben ist eigentlich ... dagegen. Aber wir machen das Beste draus. Ausserdem hatten wir letztlich auch mal hohe Temperaturen, aber 47°C wurde definitiv nicht erreicht. Diese Woche hatten wir übrigens Marketing und Sales Convention: war echt super und spannend, die vielen KollegenInnen aus aller Welt (aus Turkmenistan war keiner dabei ;-) ), spannende Vorträge und Lehrreiches. Und eine super Team/Gemeinschaft. Insofern ist das Leben hier natürlich nicht stehen geblieben, nur bestimmt sicher und warm hier. Und komfortabler als in der Wüste oder auf dem Sattel für über 100km.
    Take care! Alles, alles Gute, Euch beiden. und ich freue mich schon darauf, Weiteres von euch zu erfahren. Gerne komme ich aus der Entfernung mit Euch. Take care - toi, toi, toi, oder wie de Rheinländer sagt: et hät schon immer jut jejangen. Das wünsche ich Euch natürlich weiterhin.
    Herzlichst Bernhard.

  • #3

    张小玲 (Mittwoch, 22 Juli 2015 23:09)

    新疆人既视感啊
    建筑好美 壕!

  • #4

    Yadgar (Samstag, 22 Juni 2019 00:51)

    Hi(gh)!

    Nitpick: Die turkmenische Wüste heißt "Karakum" ("Schwarze Wüste"), nicht "Karakul" (das wären Persianerschafe oder ein See im tadschikischen Pamir)... aber ob die Nudeln in Turkmenistan wirklich wie die ostafghanische Provinz Laghman heißen? Keine Ahnung... ;-)

    Bis bald im Khyberspace! (http://www.bergisch-afghanistan.de/khyberspace/)

    Yadgar